AK Solidarität Jetzt!   Fritz-Erler-Akademie   SPD-Ortsverein Tübingen

Tübinger Forum

Ökologischer Umbau - Ökosteuer
Modischer Unsinn oder Überlebensnotwendigkeit?

Ein Streitgespräch
Dr. Wilfried Steuer
Vorsitzender des Vorstands der Energie-Versorgung Schwaben AG
       Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie

Moderiert von Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
MdB, Stellv. Vorsitzende der SPD

Die Veranstaltung fand am 3. Juli 1995 in der Universität Tübingen statt.


Zur Verringerung der Ladezeiten wurde der Text auf zwei Dateien aufgeteilt.
Sie sind gerade am Beginn des zweiten Teils.
Zum Anfang des gesamten Textes Zum Ende des ersten Teils

Fortgesetzt von ...

Herta Däubler-Gmelin:

Gehen wir noch auf die Klima-Komponente ein: Was ist mit unserem Klima nach 20 Jahren Selbstheilungskräften der Wirtschaft oder nach 20 Jahren Ökosteuer-Modell?

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Ich muß befürchten, daß die Wirtschaft zu langsam reagiert, und daß sogar die ökologische Steuerreform, so wie ich sie mir vorstelle, in 20 Jahren noch keine nennenswerten positiven Effekte haben wird. Aber das heißt natürlich überhaupt nicht, daß man sie nicht aus Klimaschutzgründen dringend sofort einführen müßte. Wenn man heute damit anfängt, dann ist bei der gegebenen Schwerfälligkeit von Investitionen und Infrastrukturentscheidungen mit nennenswerten Veränderungen in Bezug auf die Treibhausgasemissionen in etwa 15-20 Jahren zu rechnen. Aber die Konzentrationen in der Atmosphäre, bekommt man erst in einem Zeitraum von etwa 40 bis 50 Jahren herunter. Das heißt also, in Bezug auf das auf die Konzentrationen nicht auf die Emissionen reagierende Klima werden wir den positiven Effekt noch gar nicht spüren. Aber bis dahin wird die Dramatik der Klimaveränderungen so groß sein, daß die Zustimmungsbasis weit über Deutschland hinaus insbesondere in die klimageschädigten oder klimagefährdeten Entwicklungsländer hineingeht. Bangladesh würde ungefähr vier Fünftel seines Territoriums entweder verlieren oder schwerstens gefährdet sehen, wenn sich die Klimaveränderung so abspielt, wie die Klimatologen uns sagen.

Wilfried Steuer:

Die Frage war, wenn ich mich noch recht entsinne, wie das Klima in 20 Jahren sein wird, wenn die Ökosteuer kommt oder nicht. Also, wenn die Ökosteuer nur in Deutschland käme, dann kann ich Ihnen sagen, hat sich weltweit am Klima überhaupt nichts verändert. Denn das ist ja eine Bagatelle, wenn Sie die Bevölkerungszunahmen in China sehen: Jährlich etwa zwölf Millionen Menschen mehr - wenn die ein paar Kohlekraftwerke dazubauen, ist das ein Mehrfaches an CO²-Ausstoß, als wir hier mit der Klimasteuer mengenmäßig verringern können.

Und jetzt vielleicht noch einmal zum Wetter: Ich bin von Natur aus ein optimistischer Mensch, und ich bin dagegen, wenn man immer wieder in allem nur Probleme sieht. Nehmen sie nur das Wetter bei uns in den letzten 14 Tagen: Bis zum letzten Samstag hat es geregnet. Da habe ich in den Zeitungen üble Dinge gehört, daß wir jetzt bald absaufen, alles sei schlimm usw. Dann kam am Sonntag die Sonne, und bereits am Mittwoch war der erste Kommentar in der Zeitung, in dem man sich über das Ozon beschwert hat. Man weiß bei uns bald nicht mehr, was man machen soll! Es hat in früheren Zeiten schon Klimaveränderungen gegeben - wir werden auch die anderen bestehen.

Herta Däubler-Gmelin:

Wir müssen auch noch die Frage klären, ob die internationale Zusammenarbeit eine notwendige Voraussetzung oder ob auch eine rein nationale Energiewende möglich ist. Bitte, Herr von Weizsäcker.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Herr Steuer hat vollkommen recht, daß, wenn nur wir Deutschen etwas in Richtung Energiewende machen, dies alleine weltökologisch belanglos bleibt. Es ist zwar für unsere lokale Umwelt trotzdem vernünftig, denn, wie Sie ganz richtig gesagt haben, jede Energiequelle hat ihre Probleme, auch die Wasserkraft, auch die Windkraft, auch die Biomasse (man denke nur an riesige Rapsplantagen), aber genau deswegen sage ich doch, Herr Steuer, das beste ist die Energieeffizienzerhöhung. Das heißt, daß man dann für die gleiche Menge Wohlstand nur noch ein Viertel der Energie braucht, und das wiederum bedeutet, daß man bei allen Energieträgern gewaltige Reduktionen erreichen könnte. Damit komme ich jetzt zu der gestellten internationalen Frage. Dasjenige Land, dem es gelingt, volkswirtschaftlich schädliche Kohlesubventionen, teure Ölimporte aus Saudi-Arabien und vieles andere durch heimische Ingenieurskunst und entsprechende Arbeitsplätze zu substituieren, gibt natürlich auf den Weltmärkten die Richtung an. Das heißt also, es wird Lawineneffekte geben. Nur: Wenn nicht endlich mal jemand anfängt, kommt die gewünschte positive Lawine in Richtung Effizienzrevolution überhaupt nicht zustande. Mit den Schadstoffbegrenzungen, auf die die heutige Energiewirtschaft so stolz ist, können wir die Lawine nicht lostreten. Denn da ist es doch so: Sie haben eine alte Fabrik und bauen dann eine Rauchgasentschwefelung oben drauf, die zusätzliches Geld kostet; also sagen alle: Das ist teuer, das ist nur für die Reichen. Die von mir genannte Effizienzrevolution ist dagegen gerade für die Armen wichtig. Deswegen ist sie die einzige Chance für eine internationale Harmonisierung der Umweltpolitik.

Wilfried Steuer:

Ich verstehe da die Logik nicht ganz. Es ist doch unbestritten, Herr Weizsäcker, daß die Schadstoffemissionen der deutschen Kraftwerke vorbildlich sind, daß die deutsche Industrie energiesparende Geräte geschaffen hat. Es weiß doch jeder, wie wenig Energie zuhause seine Waschmaschine und sein Fernseher noch braucht. Das ist einfach eine Tatsache. Zum anderen: Ich bin für eine Ökosteuer, wenn sie zumindest europaweit mit einer Schadstoffkomponente eingeführt wird. Da muß man sagen, was man begrenzen und was nicht begrenzen will. Wir als Deutsche können diesen Alleingang nicht machen. Und nochmals: Ich bin dafür, daß jeder Mensch frei entscheiden kann. Wenn man Ihre Konsequenz ansieht, muß man bald soweit gehen, daß Energie wieder zugeteilt wird. Dann kommt die Frage, ob einer noch dreimal im Jahr Urlaub in Südamerika oder Südafrika machen kann. Das muß dann auch angesprochen werden. Man darf nicht nur auf die kleine Familie schauen und dort einen linearen Tarif einführen und damit die Preise erhöhen! Ich halte nichts von Leuten, die in China Urlaub machen und dann in Biberach auf dem Marktplatz mit der Stromsparlampe herumspringen!

Herta Däubler-Gmelin:

Die Ökosteuer ist langfristig auf 28 Jahre angelegt, das sind sieben Legislaturperioden des Bundes. Wie wollen Sie sicherstellen, daß dann nicht irgendjemand anderes in zwei Jahrzehnten das ganze Konzept wieder auf den Kopf stellt? Auch an Sie, Herr Steuer, als Politiker die Frage: Halten Sie das für realistisch? Zunächst aber bitte Herr von Weizsäcker.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Das ist wahrscheinlich die am schwierigsten positiv zu beantwortende Frage. Ich setze darauf, daß alle Leute einsehen, daß gar kein Signal, also ein einfaches "Weiterwursteln", verheerend werden kann und daß ein brutales Signal alle die von Herrn Steuer an die Wand gemalten Probleme wirklich mit sich bringt, während ein langsam ansteigendes Signal etwas ist, was weit mehr Gewinner als Verlierer hinterläßt. Und dann könnte es so gehen, wie mit der Debatte im alten Preußen über die Schulpflicht, wo man sich damals die Köpfe eingeschlagen hat - kein Mensch hätte damals gedacht, daß man das je im Konsens durchbekommt - und heute würden im Wahlkampf noch nicht einmal die Republikaner auf die Idee kommen, die Schulpflicht wieder anzuzweifeln. In diesem Sinne sage ich mir, wir müssen einen breiten, parteienübergeifenden Konsens darüber erzeugen, daß man in der wirtschafts- und sozialverträglichen Linie fortfährt und nicht alle vier Jahre darüber streitet.

Wilfried Steuer:

Was in 28 Jahren sein wird, vermag ich beim besten Willen nicht zu sagen, und ich glaube, das weiß hier keiner. Ich kann für die Ökosteuer sein, wenn sie nicht als ein Tarnbegriff zur Erschließung einer neuen Steuerquelle verwendet wird. Aber diesen Verdacht habe ich. Nachdem der Kohlepfennig gekippt wurde, kommt man jetzt mit der Ökosteuer, die nicht so schlimm klingt wie Stromsparsteuer. Ich bin für eine Ökosteuer, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:
  1. sie muß eine Schadstoffkomponente enthalten, also wirklich zur CO²-Verringerung beitragen;
  2. sie muß international eingeführt werden; und
  3. sie muß einkommensneutral sein.
Da muß zunächst eine andere Steuer weg. Die Ökosteuer darf nicht draufgesattelt werden in der Hoffnung, daß man das dann ausgleicht. Kein Mensch, Herr Weizsäcker, und kein Politiker sagt Ihnen, zu was eine Stromsparsteuer verwendet wird, wenn sie kommt. Ich habe schon gehört, seit Finanzminister Waigel ein Kind hat, will er mit dieser Steuer das Kindergeld erhöhen. Lauter solche Dinge will man mit dieser Steuer machen. Der Stromkunde ist nicht dafür da, daß er das finanziert; das soll aus anderen Mitteln des Haushalts geschehen. Nochmals: Wenn meine drei Voraussetzungen erfüllt sind, dann kann man mit uns reden. Aber einen deutschen Alleingang würde ich für höchst gefährlich halten.

Herta Däubler-Gmelin:

Jetzt haben Sie im Publikum die Gelegenheit zu Fragen und Kommentaren. Wir sammeln erst einige Fragen, die dann von beiden Diskutanten beantwortet werden.

Frage 1:

Herr Steuer, Sie in Biberach müßten eigentlich wissen, daß es noch keinen Bauernhof gegeben hat, der wegen der Dieselkraftstoffverbilligung überlebt hätte, und daß das Problem eines Bauern am Ende vom Jahr nicht seine Benzinrechnung ist, selbst wenn sie fünf Mark teurer ist, sondern daß das andere Steuern und Abgaben sind. Was für den Bauern gilt, gilt für andere kleine Leute auch!

Frage 2:

Das eigentliche Problem wurde noch gar nicht angesprochen. Die Effizienzrevolution ist nicht der Schlüssel zur Umsteuerung. Wir aus den Industriestaaten wissen, daß je effizienter eine Energiegewinnung ist, umso mehr wird die Energie in diesen Staaten auch für andere Dinge benutzt. Die Entwicklungsländer brauchen sehr viel mehr Energie, als sie jetzt haben. Deshalb brauchen sie eine andere Art von Energie, sprich: Solarenergie, Biomasse, Wasser usw. Sie kennen auch den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Energieverfügbarkeit. Je mehr ein Land andere Energiequellen hat, desto weniger müssen sie in der Bevölkerung umsteuern, weil Arbeit und Energie usw. zusammenhängen. Die eigentliche Frage ist die Qualität der Energiegewinnung und nicht allein die Effizienzrevolution. Ich finde, das Thema müßte ganz anders aufgezogen werden.

Frage 3:

> Ich finde es erstaunlich, daß einerseits bei der Ökosteuer damit argumentiert wird, man kenne schließlich die Auswirkungen in den nächsten Jahrzehnten nicht gut genug, um die Ökosteuer einzuführen. Andererseits häufen wir Atommüll an, der in 500 Jahren noch strahlen wird. Das ist nun wirklich unkalkulierbar.

Frage 4:

Herr Steuer, bei Ihnen klingt es immer so, als handle die Industrie sehr vernünftig. Aber VW hat z.B. längst ein Dreiliterauto entwickelt und bringt es nicht auf den Markt, mit der Begründung, es gäbe dafür keine Nachfrage.

Frage 5:

Woher kommen die Befürchtungen, daß die Industrie bei Einführung einer Ökosteuer auswandert? Die Industrie hat doch auch bei der Erhöhung der Abfallgebühren behauptet, sie könne sich das nicht leisten. Nachdem aber die entsprechende Gesetze verabschiedet sind, funktioniert es wunderbar. Es funktioniert sogar so gut, daß die Energieversorgungsunternehmen den Abfall als neue Energiequelle entdeckt haben. Warum soll das bei einer Ökosteuer nicht ganz genauso funktionieren?

Frage 6:

Das einzige Problem, das bei der Ökosteuer meiner Meinung nach noch existiert, ist die Aufkommensneutralität. Gerade die Befürworter, beispielsweise die GRÜNEN, überlegen sich bereits, wie sie 30 bis 40 Milliarden aus dem Aufkommen wieder in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Der öffentliche Nahverkehr ist zwar eine gute Sache, aber das Geld darf nicht aus dieser Quelle kommen, sonst geht das ganze Projekt danieder. Noch etwas zum Thema Verkehr: Die individuelle Verantwortung muß betont werden. Ich habe das Klimaschutzkonzept des Landes Baden-Württemberg bei mir. Man muß sich klarmachen: Die Zahlen bedeuten einen Verkehrszuwachs von 30 Prozent in den nächsten drei Jahren, die CO²-Emissionen werden durch Verkehr um 25 Prozent steigen und der Anteil des Verkehrs an den CO²-Emissionen um 30 Prozent. Gleichzeitig wird hier in Tübingen die B27 vierspurig ausgebaut, damit die Autos noch mehr CO² produzieren können. Das ist die Planung der Katastrophe. Individuelle Verantwortung heißt hier, daß man selber überlegt, was man tut. Für die Kommilitonen heißt das: Semesterticket kaufen, Auto verkaufen, beim Car-sharing mitmachen. 50 Prozent der individuellen CO²-Emmissionen stammen aus dem Verkehr mit dem Auto.

Frage 7:

Herr von Weizsäcker, was geschieht mit energieintensiven Industrien, also Unternehmen, die mehr für die Ökosteuer zahlen müssen als sie an Arbeitskosten einsparen? Wie kann man über längere Zeit das Aufkommen aus einer Energiesteuer berechnen? Das ist für die Aufkommensneutralität ja wichtig.

Frage 8:

Herr Weizsäcker, Sie sagten, daß eine Erhöhung des Solarenergieanteils nicht ausreichen würde. Dem stimme ich zu. Aber Energieeffizienz allein reicht auch nicht aus. Denn wenn man nur noch ein Viertel der Energie benötigen würde, gäbe es weiterhin Atomanlagen, Braunkohle, Steinkohle und alle diese Energieträger, die CO² erzeugen. Deshalb ist es wichtig, daß man alternative Energien sehr viel mehr unterstützen und fördern muß. Windkraft ist heute in Norddeutschland schon billiger als konventionell erzeugter Strom. Vorletzte Woche sagte Herr Scheer, der Vorsitzende von Eurosolar, daß man 100 Prozent von herkömmlichen Energien auf Solarenergien umschalten könnte. Das ist technisch und wirtschaftlich möglich; es wird nur politisch nicht gemacht. Die SPD wollte u.a. ein 100.000 Dächer-Programm machen, das 30.000 Arbeitsplätze bringen wüde, und der Strompreis läge am Schluß bei nur noch 30 Pfennig.

Frage 9:

Ich glaube, ich bin mit allen hier im Saal einig, daß die Welt verändert werden kann, aber nur um den Betrag, um den sich der Einzelne ändert. Alles andere ist Gewalt, und ich mag keine Gewalt. Ich fahre seit fünf Jahren zu 90 Prozent nur noch Solarautos, d.h. ein ultraleichtes Elektroauto, das mit fünf Quadratmetern Solarzellen pro Sitzplatz auskommt bei 50 km Leistung pro Tag. Der mittlere Bedarf in Europa beträgt nur 15 km pro Tag und Person. Wir könnten also jetzt schon 85 Prozent des Individualverkehrs auf solargestützte Elektroleichtfahrzeuge umstellen. Das ist natürlich ein riesiger Markt, denn diese Fahrzeuge halten 20 oder 30 Jahre, weil sie aus Kunststoff sind. D.h., die Autoindustrie müßte 20 Jahre auf alle weiteren Produktionen verzichten, denn wir haben 40 Millionen Einheiten für weite und schnelle Strecken, für Fahrten mit zwei bis drei Personen, schon herumstehen.

Frage 10:

Für die Bundesrepublik als Exportland ist es doch von Vorteil, Solar- und Photovoltaik-Technik zu exportieren, insbesondere in die sonnenreichen Länder in Afrika oder Asien. Bei der Dichte der Bevölkerung dort ist es sowieso völlig sinnlos, Großeinheiten wie Atomkraftwerke zu bauen.

Frage 11:

Herr von Weizsäcker, was halten Sie von dem Vorschlag, die Kfz-Steuer abzuschaffen und die Mineralölsteuer zu erhöhen, um so Anreize zu schaffen, das Auto in der Garage stehenzulassen?

Wilfried Steuer:

Ich kann mich eigentlich nur noch wiederholen. Ich bin etwas verwundert, wie wenig Bedeutung dem Problem der Arbeitsplätze und der Arbeitslosigkeit beigemessen wird. Wenn Sie die Wirtschaftsteile der Zeitungen verfolgen, wissen Sie, daß die Ankündigungen von Firmen, ins Ausland zu gehen, alltäglich sind. Ich nenne nochmals die energieintensiven Industrien: Stahl, Chemie, Papier, Holz und Zement. In der Chemieindustrie sind 600.000 Menschen unmittelbar beschäftigt, zwei Millionen mittelbar. Es gibt Regionen wie Ludwigshafen, wo 90 Prozent der Leute von der Chemie leben. Wenn mir die Vorstände erklären: Wenn die Energiesteuer kommt, dann würden sie nicht mehr investieren, weil sie das auf Dauer nicht durchhalten können, dann nehme ich persönlich das sehr ernst. Es ist ein Unterschied zwischen einer energieintensiven Industrie und einer arbeitsintensiven Industrie. Das kann man nicht leicht regeln. Die energieintensiven gehen dann weg, bei den arbeitsintensiven sollen die Lohnnebenkosten runter, aber wie das steuertechnisch geht, ist mir nicht klar. Die Finanz- und Steuerverwaltung beklagt doch immer das komplizierte Steuersystem hier in Deutschland, bei dem bald jeder einen Steuerberater braucht. Diese Ökosteuer würde das nochmals komplizieren.

Zweitens zu der Frage eines Landsmannes aus Biberach: Wenn wir heute schon über Natur und Umwelt reden, möchte ich hier in Tübingen für unsere Bäuerinnen und Bauern eine Lanze brechen. Die halte ich für die besten und die billigsten Landschaftspfleger. Gleichzeitig haben sie einen sehr schweren Stand. Gehen Sie mal in die Dörfer und sehen, auf wievielen Höfen der Hofnachfolger fehlt. Da wird man sich noch wundern, wie in zehn oder 20 Jahren unsere Landschaft aussieht. Wenn man hier auch noch die Verbilligung beim Dieselkraftstoff abschaffen würde, dann wäre das ein Schlag gegen den Natur- und Umweltschutz! Deshalb bin ich dafür, den Bauern diese Ermäßigung nicht zu nehmen.

Nochmals zu den Entwicklungsländern: Ich meine, wir sollten den Entwicklungsländern mit innovativer Technik helfen, und das kann ein Hochtechnologieland wie Deutschland am besten machen. Wir können uns von der Kern- oder Gentechnik auf Dauer nicht verabschieden, um auf Dauer auch hier keine Arbeitsplätze zu gefährden. Ich glaube, über das Thema Kernenergie kann man sich lange unterhalten. Ich bin dafür, daß wir nicht nur in Deutschland, sondern weltweit den bewährten Energiemix aufrechterhalten, und der lautet bei uns, wenn ich unsere Strombereitstellung ansehe: Kernenergie 55 Prozent, Kohle 25 Prozent, Wasser 13 Prozent und leider Gottes derzeit nur ein bis zwei Prozent sogenannte regenerative Energien, aber wir sind dabei, diese weiter auszuarbeiten. Dazu ist zu sagen: Sie können diese Dinge mit Geld allein nicht lösen. Das wäre einfach, wenn man mit Geld alles machen könnte. Erfindungen sind manchmal spontan, da haben Professoren auch hier in Tübingen mit einfachsten Mitteln viel erfunden, zum Teil zufällig, zum Teil, weil es gescheite Leute waren, und in großen Laboratorien mit einem Haufen Assistenten kommt oftmals recht wenig heraus. Es ist auch nicht so, daß wir Blockheizkraftwerke unterdrücken. Wir bieten Blockheizkraftwerke an, wir haben auch mit nachwachsenden Rohstoffen Versuche gemacht. Ich lade Sie gerne ein, unsere Anlagen einmal zu besichtigen. Es ist nicht so, als ob wir auf diesem Gebiet nichts tun würden.

Was die Abfallgebühren anbetrifft: Die Einführung des Mengentarifs hat eben nicht nur zur Reduzierung der Müllmenge, sondern auch zu erheblichen Wildablagerungen in Wäldern und Wiesen sowie vor allem an Straßenrändern und Autoparkplätzen geführt. Das sollte man nicht übersehen.

Abschließend: Ökosteuer ja - unter den von mir genannten drei Bedingungen: International, Umweltkomponente und einkommensneutral. Dann kann man mit mir darüber reden, aber für Alleingänge bin ich nicht zu haben, obwohl ich das genauso wenig entscheide wie mein Mitstreiter hier oben auf dem Podium.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Eine Frage war, wie es mit Kfz- gegenüber Mineralölsteuer ist. Ich halte es für einen sehr guten Vorschlag, der auch inzwischen unter Politikern weitgehend Konsens ist. Ich würde sogar noch ein Stück weiter gehen. In Kalifornien hat man angefangen, die Auto- bzw. Haftpflichtversicherung an der Tankstelle zu kassieren. D.h. mit jedem Liter Benzin muß man ein Stückchen Versicherung bezahlen. Das ist zwar vielleicht ungerechter gegenüber denjenigen, die deswegen besonders sicher fahren, weil sie sehr viel fahren. Aber es ist trotzdem im statistischen Durchschnitt nicht unvernünftiger als unsere rein auf die Zeit bezogene Versicherung. Die kalifornische Lösung bedeutet einen zusätzlichen Anreiz, zusätzliche Kilometer aus Kostengründen zu vermeiden.

Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß Energieeffizienz alleine die Probleme nicht löst. Das ist vollkommen richtig. Nur sage ich: First things first. Ein Beispiel: Ich überlege mir heute ganz grob, was es kostet, eine Tonne CO² zu vermeiden. Wenn ich das mit Photovoltaik mache, dann kostet das vielleicht 1.000 D-Mark. Wenn ich das mit Atomkraft mache, dann kostet das vielleicht 100 D-Mark. Wenn ich das mit existierenden kleinen Wasserkraftwerken mache, dann kostet das vielleicht 10 D-Mark. Und wenn ich das mit den leicht zu erntenden Energieeffizienzmaßnahmen mache, dann kostet das vielleicht minus 100 D-Mark. Das heißt, ich werde 100 D-Mark reicher dadurch, daß ich es mache. Da muß man natürlich zuerst das machen, womit der Betrieb und der Einzelne reicher wird. Aber natürlich muß man außerdem daran denken, daß irgendwann das wirklich rentable Potential "ausgelutscht" ist und daß man dann natürlich auch noch etwas in der Hinterhand haben muß, z.B. noch mehr Wasserkraft oder Windkraft oder Sonnenenergie. Das ist völlig richtig. Aber man soll nicht so tun, als könne man mit den heute technisch erschlossenen erneuerbaren Energiequellen die Sorte, den Typus von Energieverbrauch befriedigen, den unsere heutigen Stahlwerke oder andere zentralisierten Industriestrukturen haben. Denn die Sonnenenergie ist typischerweise dezentral. Das macht sie im übrigen auch für die Demokratie so charmant.

Dann ist gefragt worden, was mit energieintensiven Industrien passiert. An dieser Stelle bin ich in der Tat, anders als Herr Steuer, viel optimistischer. In der Schweiz gibt es eine pro Kopf der Bevölkerung genauso bedeutende Chemieindustrie wie in Deutschland. Und die Basler Chemieindustrie ist praktisch durch eine ökologische Steuerreform nicht negativ zu beeinflussen - ganz anders als die BASF in Ludwigshafen. Die Frage ist: Woran liegt das? Liegt das daran, daß die Schweizer Schweizerdeutsch können? Oder liegt das daran, daß der Franken besser bewertet wird oder an irgendetwas dergleichen? Nein, es liegt daran, daß die Schweizer einen bestimmten Strukturwandel innerhalb der chemischen Industrie zwanzig Jahre früher gemacht haben als die BASF. Daß die BASF in der jetzigen Struktur eine ökologische Steuerreform, wie sie das DIW vorgeschlagen hat, nicht aushält, das ist für mich keine Überraschung. Aber das heißt doch noch lange nicht, daß es nicht Formen der ökologischen Steuerreform gibt, z.B. die dänische, bei welcher ein sanfter Übergang in Richtung Basler Chemie ohne jeden Verlust von Arbeitsplätzen eintritt. Dazu muß man aber früh anfangen, denn wenn man spät anfängt, dann wird es brutal.

Zur Frage der Berechenbarkeit des Aufkommens: Das ist sicherlich nicht einfach. Aber es ist gar nicht notwendig, das präzise zu berechnen. Ich nehme an, es ist kaum leichter zu berechnen als die Tabaksteuer oder irgendwelche anderen solcher Steuern. Es genügt aber eine politische Aussage, daß jede eingenommene Mark der Senkung der Lohnnebenkosten zugeführt wird - das ist übrigens administrativ überhaupt nicht schwierig. Die ökologische Steuerreform ist etwas, das Länder wie Griechenland oder Portugal viel eher hinbekommen als eine Mehrwertsteuer oder gar eine Einkommenssteuer. Man frage mal einen italienischen oder griechischen Steuereintreiber, wie schwierig es ist, Einkommenssteuer von Zahnärzten zu bekommen oder von irgendwelchen anderen Verdienern. Im Vergleich dazu ist das Besteuern eines Öltankers, der im Hafen von Piräus einläuft, ein Kinderspiel. Das heißt also, wenn man die ganze Geschichte von der internationalen Harmonisieung, die die Industrie ja immer auf den Lippen führt, wirklich ernst nimmt, dann muß man als Meßlatte die Praktikabilität in den südeuropäischen Ländern nehmen. Und da ist unser heutiges deutsches Steuersystem völlig ungeeignet. Dagegen erscheint die ökologische Steuerreform viel geeigneter.

Wilfried Steuer:

Ich möchte es wirklich kurz machen. Ich unterscheide mich von Herrn Weizsäcker darin, daß ich glaube, wir sollten uns angesichts der hohen Steuerbelastung in Deutschland, auch angesichts der hohen Energiesteuer, nicht Gedanken darüber machen, wie wir noch mehr abschöpfen können, sondern wie wir Steuern senken können. Vorhin habe ich in einem Vorgespräch mit einem Theologieprofessor gesprochen, der auch für die Ökosteuer ist. Dem habe ich gesagt, dafür könne man ja die Kirchensteuer wegnehmen. Daraufhin war die Begeisterung nicht mehr so groß. Ich meine, wir sollten nicht immer weiter Steuern draufsatteln.

Zum zweiten: Herr Weizsäcker, ich bin für die Ausnutzung der Wasserkraft, wofür wir alles tun. Aber wie Sie auch wissen, wenn man heute ein weiteres Wasserkraftwerk bauen will, sind die Umweltschützer zum Teil mit Recht dagegen. Man muß man dann eben unsere Situation berücksichtigen. Wenn wir vorgehalten bekommen, daß Norwegen fast 100 Prozent Wasserkraft hat, dann ist das zwar richtig, aber bei unseren geographischen Verhältnissen - die Flüsse befinden sich im Oberlauf ohne großes Gefälle, am Bodensee gibt es nunmal keine Ebbe und Flut, so daß man kein Gezeitenkraftwerk bauen kann - ist das nicht ohne weiteres möglich. Wir fördern die Sonnenkraft, wir sind für regenerative Energien und nachwachsende Rohstoffe, allerdings lehne ich es ab, daß wir angesichts des Hungers in der Welt Getreide verbrennen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Die ökologische Krise zwingt uns, langfristig zu denken. Die heutige Energiewirtschaft lädt der Generation unserer Enkel und Urenkel Hypotheken auf, von denen wir nicht sicher sind, ob unsere Enkel damit überhaupt fertig werden können. Wir müssen unser heutiges ökologisches Wissen nutzen, um eine risikovermindernde Strategie auch im Energie- und Industriebereich zu entwickeln. Wenn wir das mit der Brechstange von heute auf morgen machen würden, dann gäbe es in der Tat große Arbeitsplatzverluste und sehr bald keinerlei Akzeptanz in der breiten Bevölkerung mehr für diese Maßnahmen. Deswegen bin ich sehr für einen sanften Übergang, bei dem kein Kapital vernichtet wird. Es ist dabei wichtig, daß alle Akteure auch ein Minimum an Glaubwürdigkeit behalten. Ich war sehr dankbar, daß Herr Steuer erwähnt hat, daß es Leute gibt, die dreimal im Jahr in Übersee Urlaub machen und zuhause damit angeben, wie ökologisch richtig sie sich verhalten. Diese Unglaubwürdigkeit empfinde ich als skandalös. Ich möchte nur genau deshalb sagen, daß man keinen Ökodiktator braucht oder sagt: Du warst schon auf den Seychellen, für die nächsten fünf Jahre also nicht mehr. Stattdesssen braucht man vernünftigerweise eine Kerosinsteuer.

Ich will noch etwas zur Frage des Standorts Deutschland sagen: Diese Effizienzrevolution, von der wir in diesem Buch sprechen, die 50 Beispiele, die wir dort geben, ausgedehnt auf unsere gesamte Wirtschaft, hätten ein Volumen, das einhundertmal größer ist als die gesamte Gentechnik. Und sollte die Hypothese zutreffen, daß man für den Standort Deutschland nicht auf die Gentechnik verzichten kann, dann wäre es hundertmal richtiger, daß man auf die Effizienzrevolution nicht verzichten kann.

Zum Schluß nochmal zur ökologischen Steuerreform: Konrad Lorenz, der große Verhaltensforscher, hat einmal Dohlenschwärme untersucht. Da gibt es einen Teil der Dohlen, die sagen "kia", das bedeutet: "Wir bleiben sitzen", und andere sagen "kiau", das bedeutet: "Wir wollen losfliegen". Dann nimmt langsam die Zahl der "kiau"-Sager zu, und plötzlich fliegt der ganze Schwarm. So beobachte ich das mit der ökologischen Steuerreform. Als ich vor etwa acht Jahren zum ersten mal damit angefangen habe, da haben die Leute - begreiflicherweise, ich nehme das niemandem übel - gesagt, was will dieser hergelaufene Biologe, der hat doch von Wirtschaft keine Ahnung. Durch Gespräche mit Gewerkschaftlern, mit Regionalpolitikern, mit Umweltpolitikern natürlich auch, mit Industrieführern usw. ist es gelungen, die Vorschläge so fortzuentwickeln, daß eine breite Mehrheit auf einmal dafür ist, ohne ihr Gewissen zu verbiegen und ohne ernstliche Sorgen um die Arbeitsplätze zu bekommen. Und so sehe ich eigentlich das Jahr 1995 als das Jahr der Wende, nach der - nach Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen - der Dohlenschwarm nun losfliegen kann. Wir müssen nur dafür sorgen, daß er nicht vor Begeisterung in Strommasten oder etwas ähnliches fliegt.

Ich möchte ganz zum Schluß noch sagen, daß ich ausgesprochen ermutigt bin. In den letzten drei Jahren ist es doch häufig so gewesen, daß in öffentlichen Veranstaltungen eine gedrückte Stimmung beim Aufkommen des Themas Umwelt entstanden ist. So als ob Umwelt und Arbeitsplätze eigentlich ein Widerspruch wären. Ich habe das Gefühl, wenn das hiesige Tübinger Publikum einigermaßen repräsentativ für die Bevölkerung ist, dann gehen auch unsere Enkel einer besseren Zukunft entgegen. Vielen Dank.


AK Solidarität Jetzt!   Fritz-Erler-Akademie   SPD-Ortsverein Tübingen

Letzte Änderung: 05.01.2002