AK Solidarität Jetzt! | Fritz-Erler-Akademie | SPD-Ortsverein Tübingen |
Ökologischer Umbau - Ökosteuer
Modischer Unsinn oder
Überlebensnotwendigkeit?
Ein Streitgespräch
Dr. Wilfried Steuer Vorsitzender des Vorstands der Energie-Versorgung Schwaben AG |
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie |
Moderiert von Prof. Dr.
Herta Däubler-Gmelin
MdB, Stellv. Vorsitzende der SPD
Die Veranstaltung fand am 3. Juli 1995 in der Universität Tübingen statt.
Zur Verringerung der Ladezeiten wurde der
Text auf zwei Dateien aufgeteilt. Sie sind gerade am Beginn des zweiten Teils. | |
Zum Anfang des gesamten Textes | Zum Ende des ersten Teils |
Fortgesetzt von ...
Und jetzt vielleicht noch einmal zum Wetter: Ich bin von Natur aus ein
optimistischer Mensch, und ich bin dagegen, wenn man immer wieder in allem nur
Probleme sieht. Nehmen sie nur das Wetter bei uns in den letzten 14 Tagen: Bis
zum letzten Samstag hat es geregnet. Da habe ich in den Zeitungen üble Dinge
gehört, daß wir jetzt bald absaufen, alles sei schlimm usw. Dann kam am Sonntag
die Sonne, und bereits am Mittwoch war der erste Kommentar in der Zeitung, in
dem man sich über das Ozon beschwert hat. Man weiß bei uns bald nicht mehr, was
man machen soll! Es hat in früheren Zeiten schon Klimaveränderungen gegeben -
wir werden auch die anderen bestehen.
Zweitens zu der Frage eines Landsmannes aus Biberach: Wenn wir heute schon
über Natur und Umwelt reden, möchte ich hier in Tübingen für unsere Bäuerinnen
und Bauern eine Lanze brechen. Die halte ich für die besten und die billigsten
Landschaftspfleger. Gleichzeitig haben sie einen sehr schweren Stand. Gehen Sie
mal in die Dörfer und sehen, auf wievielen Höfen der Hofnachfolger fehlt. Da
wird man sich noch wundern, wie in zehn oder 20 Jahren unsere Landschaft
aussieht. Wenn man hier auch noch die Verbilligung beim Dieselkraftstoff
abschaffen würde, dann wäre das ein Schlag gegen den Natur- und Umweltschutz!
Deshalb bin ich dafür, den Bauern diese Ermäßigung nicht zu nehmen.
Nochmals zu den Entwicklungsländern: Ich meine, wir sollten den
Entwicklungsländern mit innovativer Technik helfen, und das kann ein
Hochtechnologieland wie Deutschland am besten machen. Wir können uns von der
Kern- oder Gentechnik auf Dauer nicht verabschieden, um auf Dauer auch hier
keine Arbeitsplätze zu gefährden. Ich glaube, über das Thema Kernenergie kann
man sich lange unterhalten. Ich bin dafür, daß wir nicht nur in Deutschland,
sondern weltweit den bewährten Energiemix aufrechterhalten, und der lautet bei
uns, wenn ich unsere Strombereitstellung ansehe: Kernenergie 55 Prozent, Kohle
25 Prozent, Wasser 13 Prozent und leider Gottes derzeit nur ein bis zwei Prozent
sogenannte regenerative Energien, aber wir sind dabei, diese weiter
auszuarbeiten. Dazu ist zu sagen: Sie können diese Dinge mit Geld allein nicht
lösen. Das wäre einfach, wenn man mit Geld alles machen könnte. Erfindungen sind
manchmal spontan, da haben Professoren auch hier in Tübingen mit einfachsten
Mitteln viel erfunden, zum Teil zufällig, zum Teil, weil es gescheite Leute
waren, und in großen Laboratorien mit einem Haufen Assistenten kommt oftmals
recht wenig heraus. Es ist auch nicht so, daß wir Blockheizkraftwerke
unterdrücken. Wir bieten Blockheizkraftwerke an, wir haben auch mit
nachwachsenden Rohstoffen Versuche gemacht. Ich lade Sie gerne ein, unsere
Anlagen einmal zu besichtigen. Es ist nicht so, als ob wir auf diesem Gebiet
nichts tun würden.
Was die Abfallgebühren anbetrifft: Die Einführung des Mengentarifs hat eben
nicht nur zur Reduzierung der Müllmenge, sondern auch zu erheblichen
Wildablagerungen in Wäldern und Wiesen sowie vor allem an Straßenrändern und
Autoparkplätzen geführt. Das sollte man nicht übersehen.
Abschließend: Ökosteuer ja - unter den von mir genannten drei Bedingungen:
International, Umweltkomponente und einkommensneutral. Dann kann man mit mir
darüber reden, aber für Alleingänge bin ich nicht zu haben, obwohl ich das
genauso wenig entscheide wie mein Mitstreiter hier oben auf dem Podium.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß Energieeffizienz alleine die
Probleme nicht löst. Das ist vollkommen richtig. Nur sage ich: First things
first. Ein Beispiel: Ich überlege mir heute ganz grob, was es kostet, eine Tonne
CO² zu vermeiden. Wenn ich das mit Photovoltaik mache, dann kostet das
vielleicht 1.000 D-Mark. Wenn ich das mit Atomkraft mache, dann kostet das
vielleicht 100 D-Mark. Wenn ich das mit existierenden kleinen Wasserkraftwerken
mache, dann kostet das vielleicht 10 D-Mark. Und wenn ich das mit den leicht zu
erntenden Energieeffizienzmaßnahmen mache, dann kostet das vielleicht minus 100
D-Mark. Das heißt, ich werde 100 D-Mark reicher dadurch, daß ich es mache. Da
muß man natürlich zuerst das machen, womit der Betrieb und der Einzelne reicher
wird. Aber natürlich muß man außerdem daran denken, daß irgendwann das wirklich
rentable Potential "ausgelutscht" ist und daß man dann natürlich auch noch etwas
in der Hinterhand haben muß, z.B. noch mehr Wasserkraft oder Windkraft oder
Sonnenenergie. Das ist völlig richtig. Aber man soll nicht so tun, als könne man
mit den heute technisch erschlossenen erneuerbaren Energiequellen die Sorte, den
Typus von Energieverbrauch befriedigen, den unsere heutigen Stahlwerke oder
andere zentralisierten Industriestrukturen haben. Denn die Sonnenenergie ist
typischerweise dezentral. Das macht sie im übrigen auch für die Demokratie so
charmant.
Dann ist gefragt worden, was mit energieintensiven Industrien passiert. An
dieser Stelle bin ich in der Tat, anders als Herr Steuer, viel optimistischer.
In der Schweiz gibt es eine pro Kopf der Bevölkerung genauso bedeutende
Chemieindustrie wie in Deutschland. Und die Basler Chemieindustrie ist praktisch
durch eine ökologische Steuerreform nicht negativ zu beeinflussen - ganz anders
als die BASF in Ludwigshafen. Die Frage ist: Woran liegt das? Liegt das daran,
daß die Schweizer Schweizerdeutsch können? Oder liegt das daran, daß der Franken
besser bewertet wird oder an irgendetwas dergleichen? Nein, es liegt daran, daß
die Schweizer einen bestimmten Strukturwandel innerhalb der chemischen Industrie
zwanzig Jahre früher gemacht haben als die BASF. Daß die BASF in der jetzigen
Struktur eine ökologische Steuerreform, wie sie das DIW vorgeschlagen hat, nicht
aushält, das ist für mich keine Überraschung. Aber das heißt doch noch lange
nicht, daß es nicht Formen der ökologischen Steuerreform gibt, z.B. die
dänische, bei welcher ein sanfter Übergang in Richtung Basler Chemie ohne jeden
Verlust von Arbeitsplätzen eintritt. Dazu muß man aber früh anfangen, denn wenn
man spät anfängt, dann wird es brutal.
Zur Frage der Berechenbarkeit des Aufkommens: Das ist sicherlich nicht
einfach. Aber es ist gar nicht notwendig, das präzise zu berechnen. Ich nehme
an, es ist kaum leichter zu berechnen als die Tabaksteuer oder irgendwelche
anderen solcher Steuern. Es genügt aber eine politische Aussage, daß jede
eingenommene Mark der Senkung der Lohnnebenkosten zugeführt wird - das ist
übrigens administrativ überhaupt nicht schwierig. Die ökologische Steuerreform
ist etwas, das Länder wie Griechenland oder Portugal viel eher hinbekommen als
eine Mehrwertsteuer oder gar eine Einkommenssteuer. Man frage mal einen
italienischen oder griechischen Steuereintreiber, wie schwierig es ist,
Einkommenssteuer von Zahnärzten zu bekommen oder von irgendwelchen anderen
Verdienern. Im Vergleich dazu ist das Besteuern eines Öltankers, der im Hafen
von Piräus einläuft, ein Kinderspiel. Das heißt also, wenn man die ganze
Geschichte von der internationalen Harmonisieung, die die Industrie ja immer auf
den Lippen führt, wirklich ernst nimmt, dann muß man als Meßlatte die
Praktikabilität in den südeuropäischen Ländern nehmen. Und da ist unser heutiges
deutsches Steuersystem völlig ungeeignet. Dagegen erscheint die ökologische
Steuerreform viel geeigneter.
Zum zweiten: Herr Weizsäcker, ich bin für die Ausnutzung der Wasserkraft,
wofür wir alles tun. Aber wie Sie auch wissen, wenn man heute ein weiteres
Wasserkraftwerk bauen will, sind die Umweltschützer zum Teil mit Recht dagegen.
Man muß man dann eben unsere Situation berücksichtigen. Wenn wir vorgehalten
bekommen, daß Norwegen fast 100 Prozent Wasserkraft hat, dann ist das zwar
richtig, aber bei unseren geographischen Verhältnissen - die Flüsse befinden
sich im Oberlauf ohne großes Gefälle, am Bodensee gibt es nunmal keine Ebbe und
Flut, so daß man kein Gezeitenkraftwerk bauen kann - ist das nicht ohne weiteres
möglich. Wir fördern die Sonnenkraft, wir sind für regenerative Energien und
nachwachsende Rohstoffe, allerdings lehne ich es ab, daß wir angesichts des
Hungers in der Welt Getreide verbrennen.
Ich will noch etwas zur Frage des Standorts Deutschland sagen: Diese
Effizienzrevolution, von der wir in diesem Buch sprechen, die 50 Beispiele, die
wir dort geben, ausgedehnt auf unsere gesamte Wirtschaft, hätten ein Volumen,
das einhundertmal größer ist als die gesamte Gentechnik. Und sollte die
Hypothese zutreffen, daß man für den Standort Deutschland nicht auf die
Gentechnik verzichten kann, dann wäre es hundertmal richtiger, daß man auf die
Effizienzrevolution nicht verzichten kann.
Zum Schluß nochmal zur ökologischen Steuerreform: Konrad Lorenz, der große
Verhaltensforscher, hat einmal Dohlenschwärme untersucht. Da gibt es einen Teil
der Dohlen, die sagen "kia", das bedeutet: "Wir bleiben sitzen", und andere
sagen "kiau", das bedeutet: "Wir wollen losfliegen". Dann nimmt langsam die Zahl
der "kiau"-Sager zu, und plötzlich fliegt der ganze Schwarm. So beobachte ich
das mit der ökologischen Steuerreform. Als ich vor etwa acht Jahren zum ersten
mal damit angefangen habe, da haben die Leute - begreiflicherweise, ich nehme
das niemandem übel - gesagt, was will dieser hergelaufene Biologe, der hat doch
von Wirtschaft keine Ahnung. Durch Gespräche mit Gewerkschaftlern, mit
Regionalpolitikern, mit Umweltpolitikern natürlich auch, mit Industrieführern
usw. ist es gelungen, die Vorschläge so fortzuentwickeln, daß eine breite
Mehrheit auf einmal dafür ist, ohne ihr Gewissen zu verbiegen und ohne
ernstliche Sorgen um die Arbeitsplätze zu bekommen. Und so sehe ich eigentlich
das Jahr 1995 als das Jahr der Wende, nach der - nach Gesprächen mit
Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen - der Dohlenschwarm nun losfliegen kann.
Wir müssen nur dafür sorgen, daß er nicht vor Begeisterung in Strommasten oder
etwas ähnliches fliegt.
Ich möchte ganz zum Schluß noch sagen, daß ich ausgesprochen ermutigt bin. In
den letzten drei Jahren ist es doch häufig so gewesen, daß in öffentlichen
Veranstaltungen eine gedrückte Stimmung beim Aufkommen des Themas Umwelt
entstanden ist. So als ob Umwelt und Arbeitsplätze eigentlich ein Widerspruch
wären. Ich habe das Gefühl, wenn das hiesige Tübinger Publikum einigermaßen
repräsentativ für die Bevölkerung ist, dann gehen auch unsere Enkel einer
besseren Zukunft entgegen. Vielen Dank.
Herta Däubler-Gmelin:
Gehen wir noch auf die
Klima-Komponente ein: Was ist mit unserem Klima nach 20 Jahren
Selbstheilungskräften der Wirtschaft oder nach 20 Jahren Ökosteuer-Modell?
Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Ich muß befürchten, daß die
Wirtschaft zu langsam reagiert, und daß sogar die ökologische Steuerreform, so
wie ich sie mir vorstelle, in 20 Jahren noch keine nennenswerten positiven
Effekte haben wird. Aber das heißt natürlich überhaupt nicht, daß man sie nicht
aus Klimaschutzgründen dringend sofort einführen müßte. Wenn man heute damit
anfängt, dann ist bei der gegebenen Schwerfälligkeit von Investitionen und
Infrastrukturentscheidungen mit nennenswerten Veränderungen in Bezug auf die
Treibhausgasemissionen in etwa 15-20 Jahren zu rechnen. Aber die Konzentrationen
in der Atmosphäre, bekommt man erst in einem Zeitraum von etwa 40 bis 50 Jahren
herunter. Das heißt also, in Bezug auf das auf die Konzentrationen nicht auf die
Emissionen reagierende Klima werden wir den positiven Effekt noch gar nicht
spüren. Aber bis dahin wird die Dramatik der Klimaveränderungen so groß sein,
daß die Zustimmungsbasis weit über Deutschland hinaus insbesondere in die
klimageschädigten oder klimagefährdeten Entwicklungsländer hineingeht.
Bangladesh würde ungefähr vier Fünftel seines Territoriums entweder verlieren
oder schwerstens gefährdet sehen, wenn sich die Klimaveränderung so abspielt,
wie die Klimatologen uns sagen.
Wilfried Steuer:
Die Frage war, wenn ich mich noch recht
entsinne, wie das Klima in 20 Jahren sein wird, wenn die Ökosteuer kommt oder
nicht. Also, wenn die Ökosteuer nur in Deutschland käme, dann kann ich Ihnen
sagen, hat sich weltweit am Klima überhaupt nichts verändert. Denn das ist ja
eine Bagatelle, wenn Sie die Bevölkerungszunahmen in China sehen: Jährlich etwa
zwölf Millionen Menschen mehr - wenn die ein paar Kohlekraftwerke dazubauen, ist
das ein Mehrfaches an CO²-Ausstoß, als wir hier mit der Klimasteuer mengenmäßig
verringern können.
Herta Däubler-Gmelin:
Wir müssen auch noch die Frage
klären, ob die internationale Zusammenarbeit eine notwendige Voraussetzung oder
ob auch eine rein nationale Energiewende möglich ist. Bitte, Herr von
Weizsäcker.
Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Herr Steuer hat vollkommen
recht, daß, wenn nur wir Deutschen etwas in Richtung Energiewende machen, dies
alleine weltökologisch belanglos bleibt. Es ist zwar für unsere lokale Umwelt
trotzdem vernünftig, denn, wie Sie ganz richtig gesagt haben, jede Energiequelle
hat ihre Probleme, auch die Wasserkraft, auch die Windkraft, auch die Biomasse
(man denke nur an riesige Rapsplantagen), aber genau deswegen sage ich doch,
Herr Steuer, das beste ist die Energieeffizienzerhöhung. Das heißt, daß man dann
für die gleiche Menge Wohlstand nur noch ein Viertel der Energie braucht, und
das wiederum bedeutet, daß man bei allen Energieträgern gewaltige Reduktionen
erreichen könnte. Damit komme ich jetzt zu der gestellten internationalen Frage.
Dasjenige Land, dem es gelingt, volkswirtschaftlich schädliche
Kohlesubventionen, teure Ölimporte aus Saudi-Arabien und vieles andere durch
heimische Ingenieurskunst und entsprechende Arbeitsplätze zu substituieren, gibt
natürlich auf den Weltmärkten die Richtung an. Das heißt also, es wird
Lawineneffekte geben. Nur: Wenn nicht endlich mal jemand anfängt, kommt die
gewünschte positive Lawine in Richtung Effizienzrevolution überhaupt nicht
zustande. Mit den Schadstoffbegrenzungen, auf die die heutige Energiewirtschaft
so stolz ist, können wir die Lawine nicht lostreten. Denn da ist es doch so: Sie
haben eine alte Fabrik und bauen dann eine Rauchgasentschwefelung oben drauf,
die zusätzliches Geld kostet; also sagen alle: Das ist teuer, das ist nur für
die Reichen. Die von mir genannte Effizienzrevolution ist dagegen gerade für die
Armen wichtig. Deswegen ist sie die einzige Chance für eine internationale
Harmonisierung der Umweltpolitik.
Wilfried Steuer:
Ich verstehe da die Logik nicht ganz.
Es ist doch unbestritten, Herr Weizsäcker, daß die Schadstoffemissionen der
deutschen Kraftwerke vorbildlich sind, daß die deutsche Industrie
energiesparende Geräte geschaffen hat. Es weiß doch jeder, wie wenig Energie
zuhause seine Waschmaschine und sein Fernseher noch braucht. Das ist einfach
eine Tatsache. Zum anderen: Ich bin für eine Ökosteuer, wenn sie zumindest
europaweit mit einer Schadstoffkomponente eingeführt wird. Da muß man sagen, was
man begrenzen und was nicht begrenzen will. Wir als Deutsche können diesen
Alleingang nicht machen. Und nochmals: Ich bin dafür, daß jeder Mensch frei
entscheiden kann. Wenn man Ihre Konsequenz ansieht, muß man bald soweit gehen,
daß Energie wieder zugeteilt wird. Dann kommt die Frage, ob einer noch dreimal
im Jahr Urlaub in Südamerika oder Südafrika machen kann. Das muß dann auch
angesprochen werden. Man darf nicht nur auf die kleine Familie schauen und dort
einen linearen Tarif einführen und damit die Preise erhöhen! Ich halte nichts
von Leuten, die in China Urlaub machen und dann in Biberach auf dem Marktplatz
mit der Stromsparlampe herumspringen!
Herta Däubler-Gmelin:
Die Ökosteuer ist langfristig auf
28 Jahre angelegt, das sind sieben Legislaturperioden des Bundes. Wie wollen Sie
sicherstellen, daß dann nicht irgendjemand anderes in zwei Jahrzehnten das ganze
Konzept wieder auf den Kopf stellt? Auch an Sie, Herr Steuer, als Politiker die
Frage: Halten Sie das für realistisch? Zunächst aber bitte Herr von Weizsäcker.
Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Das ist wahrscheinlich die am
schwierigsten positiv zu beantwortende Frage. Ich setze darauf, daß alle Leute
einsehen, daß gar kein Signal, also ein einfaches "Weiterwursteln", verheerend
werden kann und daß ein brutales Signal alle die von Herrn Steuer an die Wand
gemalten Probleme wirklich mit sich bringt, während ein langsam ansteigendes
Signal etwas ist, was weit mehr Gewinner als Verlierer hinterläßt. Und dann
könnte es so gehen, wie mit der Debatte im alten Preußen über die Schulpflicht,
wo man sich damals die Köpfe eingeschlagen hat - kein Mensch hätte damals
gedacht, daß man das je im Konsens durchbekommt - und heute würden im Wahlkampf
noch nicht einmal die Republikaner auf die Idee kommen, die Schulpflicht wieder
anzuzweifeln. In diesem Sinne sage ich mir, wir müssen einen breiten,
parteienübergeifenden Konsens darüber erzeugen, daß man in der wirtschafts- und
sozialverträglichen Linie fortfährt und nicht alle vier Jahre darüber streitet.
Wilfried Steuer:
Was in 28 Jahren sein wird, vermag ich
beim besten Willen nicht zu sagen, und ich glaube, das weiß hier keiner. Ich
kann für die Ökosteuer sein, wenn sie nicht als ein Tarnbegriff zur Erschließung
einer neuen Steuerquelle verwendet wird. Aber diesen Verdacht habe ich. Nachdem
der Kohlepfennig gekippt wurde, kommt man jetzt mit der Ökosteuer, die nicht so
schlimm klingt wie Stromsparsteuer. Ich bin für eine Ökosteuer, wenn drei
Voraussetzungen erfüllt sind:
Da muß zunächst eine andere Steuer
weg. Die Ökosteuer darf nicht draufgesattelt werden in der Hoffnung, daß man das
dann ausgleicht. Kein Mensch, Herr Weizsäcker, und kein Politiker sagt Ihnen, zu
was eine Stromsparsteuer verwendet wird, wenn sie kommt. Ich habe schon gehört,
seit Finanzminister Waigel ein Kind hat, will er mit dieser Steuer das
Kindergeld erhöhen. Lauter solche Dinge will man mit dieser Steuer machen. Der
Stromkunde ist nicht dafür da, daß er das finanziert; das soll aus anderen
Mitteln des Haushalts geschehen. Nochmals: Wenn meine drei Voraussetzungen
erfüllt sind, dann kann man mit uns reden. Aber einen deutschen Alleingang würde
ich für höchst gefährlich halten.
Herta Däubler-Gmelin:
Jetzt haben Sie im Publikum die
Gelegenheit zu Fragen und Kommentaren. Wir sammeln erst einige Fragen, die dann
von beiden Diskutanten beantwortet werden.
Frage 1:
Herr Steuer, Sie in Biberach müßten eigentlich
wissen, daß es noch keinen Bauernhof gegeben hat, der wegen der
Dieselkraftstoffverbilligung überlebt hätte, und daß das Problem eines Bauern am
Ende vom Jahr nicht seine Benzinrechnung ist, selbst wenn sie fünf Mark teurer
ist, sondern daß das andere Steuern und Abgaben sind. Was für den Bauern gilt,
gilt für andere kleine Leute auch!
Frage 2:
Das eigentliche Problem wurde noch gar nicht
angesprochen. Die Effizienzrevolution ist nicht der Schlüssel zur Umsteuerung.
Wir aus den Industriestaaten wissen, daß je effizienter eine Energiegewinnung
ist, umso mehr wird die Energie in diesen Staaten auch für andere Dinge benutzt.
Die Entwicklungsländer brauchen sehr viel mehr Energie, als sie jetzt haben.
Deshalb brauchen sie eine andere Art von Energie, sprich: Solarenergie,
Biomasse, Wasser usw. Sie kennen auch den Zusammenhang zwischen
Bevölkerungsentwicklung und Energieverfügbarkeit. Je mehr ein Land andere
Energiequellen hat, desto weniger müssen sie in der Bevölkerung umsteuern, weil
Arbeit und Energie usw. zusammenhängen. Die eigentliche Frage ist die Qualität
der Energiegewinnung und nicht allein die Effizienzrevolution. Ich finde, das
Thema müßte ganz anders aufgezogen werden.
Frage 3:
> Ich finde es erstaunlich, daß einerseits
bei der Ökosteuer damit argumentiert wird, man kenne schließlich die
Auswirkungen in den nächsten Jahrzehnten nicht gut genug, um die Ökosteuer
einzuführen. Andererseits häufen wir Atommüll an, der in 500 Jahren noch
strahlen wird. Das ist nun wirklich unkalkulierbar.
Frage 4:
Herr Steuer, bei Ihnen klingt es immer so, als
handle die Industrie sehr vernünftig. Aber VW hat z.B. längst ein Dreiliterauto
entwickelt und bringt es nicht auf den Markt, mit der Begründung, es gäbe dafür
keine Nachfrage.
Frage 5:
Woher kommen die Befürchtungen, daß die
Industrie bei Einführung einer Ökosteuer auswandert? Die Industrie hat doch auch
bei der Erhöhung der Abfallgebühren behauptet, sie könne sich das nicht leisten.
Nachdem aber die entsprechende Gesetze verabschiedet sind, funktioniert es
wunderbar. Es funktioniert sogar so gut, daß die Energieversorgungsunternehmen
den Abfall als neue Energiequelle entdeckt haben. Warum soll das bei einer
Ökosteuer nicht ganz genauso funktionieren?
Frage 6:
Das einzige Problem, das bei der Ökosteuer
meiner Meinung nach noch existiert, ist die Aufkommensneutralität. Gerade die
Befürworter, beispielsweise die GRÜNEN, überlegen sich bereits, wie sie 30 bis
40 Milliarden aus dem Aufkommen wieder in den öffentlichen Nahverkehr
investieren. Der öffentliche Nahverkehr ist zwar eine gute Sache, aber das Geld
darf nicht aus dieser Quelle kommen, sonst geht das ganze Projekt danieder. Noch
etwas zum Thema Verkehr: Die individuelle Verantwortung muß betont werden. Ich
habe das Klimaschutzkonzept des Landes Baden-Württemberg bei mir. Man muß sich
klarmachen: Die Zahlen bedeuten einen Verkehrszuwachs von 30 Prozent in den
nächsten drei Jahren, die CO²-Emissionen werden durch Verkehr um 25 Prozent
steigen und der Anteil des Verkehrs an den CO²-Emissionen um 30 Prozent.
Gleichzeitig wird hier in Tübingen die B27 vierspurig ausgebaut, damit die Autos
noch mehr CO² produzieren können. Das ist die Planung der Katastrophe.
Individuelle Verantwortung heißt hier, daß man selber überlegt, was man tut. Für
die Kommilitonen heißt das: Semesterticket kaufen, Auto verkaufen, beim
Car-sharing mitmachen. 50 Prozent der individuellen CO²-Emmissionen stammen aus
dem Verkehr mit dem Auto.
Frage 7:
Herr von Weizsäcker, was geschieht mit
energieintensiven Industrien, also Unternehmen, die mehr für die Ökosteuer
zahlen müssen als sie an Arbeitskosten einsparen? Wie kann man über längere Zeit
das Aufkommen aus einer Energiesteuer berechnen? Das ist für die
Aufkommensneutralität ja wichtig.
Frage 8:
Herr Weizsäcker, Sie sagten, daß eine Erhöhung
des Solarenergieanteils nicht ausreichen würde. Dem stimme ich zu. Aber
Energieeffizienz allein reicht auch nicht aus. Denn wenn man nur noch ein
Viertel der Energie benötigen würde, gäbe es weiterhin Atomanlagen, Braunkohle,
Steinkohle und alle diese Energieträger, die CO² erzeugen. Deshalb ist es
wichtig, daß man alternative Energien sehr viel mehr unterstützen und fördern
muß. Windkraft ist heute in Norddeutschland schon billiger als konventionell
erzeugter Strom. Vorletzte Woche sagte Herr Scheer, der Vorsitzende von
Eurosolar, daß man 100 Prozent von herkömmlichen Energien auf Solarenergien
umschalten könnte. Das ist technisch und wirtschaftlich möglich; es wird nur
politisch nicht gemacht. Die SPD wollte u.a. ein 100.000 Dächer-Programm machen,
das 30.000 Arbeitsplätze bringen wüde, und der Strompreis läge am Schluß bei nur
noch 30 Pfennig.
Frage 9:
Ich glaube, ich bin mit allen hier im Saal
einig, daß die Welt verändert werden kann, aber nur um den Betrag, um den sich
der Einzelne ändert. Alles andere ist Gewalt, und ich mag keine Gewalt. Ich
fahre seit fünf Jahren zu 90 Prozent nur noch Solarautos, d.h. ein ultraleichtes
Elektroauto, das mit fünf Quadratmetern Solarzellen pro Sitzplatz auskommt bei
50 km Leistung pro Tag. Der mittlere Bedarf in Europa beträgt nur 15 km pro Tag
und Person. Wir könnten also jetzt schon 85 Prozent des Individualverkehrs auf
solargestützte Elektroleichtfahrzeuge umstellen. Das ist natürlich ein riesiger
Markt, denn diese Fahrzeuge halten 20 oder 30 Jahre, weil sie aus Kunststoff
sind. D.h., die Autoindustrie müßte 20 Jahre auf alle weiteren Produktionen
verzichten, denn wir haben 40 Millionen Einheiten für weite und schnelle
Strecken, für Fahrten mit zwei bis drei Personen, schon herumstehen.
Frage 10:
Für die Bundesrepublik als Exportland ist es
doch von Vorteil, Solar- und Photovoltaik-Technik zu exportieren, insbesondere
in die sonnenreichen Länder in Afrika oder Asien. Bei der Dichte der Bevölkerung
dort ist es sowieso völlig sinnlos, Großeinheiten wie Atomkraftwerke zu bauen.
Frage 11:
Herr von Weizsäcker, was halten Sie von dem
Vorschlag, die Kfz-Steuer abzuschaffen und die Mineralölsteuer zu erhöhen, um so
Anreize zu schaffen, das Auto in der Garage stehenzulassen?
Wilfried Steuer:
Ich kann mich eigentlich nur noch
wiederholen. Ich bin etwas verwundert, wie wenig Bedeutung dem Problem der
Arbeitsplätze und der Arbeitslosigkeit beigemessen wird. Wenn Sie die
Wirtschaftsteile der Zeitungen verfolgen, wissen Sie, daß die Ankündigungen von
Firmen, ins Ausland zu gehen, alltäglich sind. Ich nenne nochmals die
energieintensiven Industrien: Stahl, Chemie, Papier, Holz und Zement. In der
Chemieindustrie sind 600.000 Menschen unmittelbar beschäftigt, zwei Millionen
mittelbar. Es gibt Regionen wie Ludwigshafen, wo 90 Prozent der Leute von der
Chemie leben. Wenn mir die Vorstände erklären: Wenn die Energiesteuer kommt,
dann würden sie nicht mehr investieren, weil sie das auf Dauer nicht durchhalten
können, dann nehme ich persönlich das sehr ernst. Es ist ein Unterschied
zwischen einer energieintensiven Industrie und einer arbeitsintensiven
Industrie. Das kann man nicht leicht regeln. Die energieintensiven gehen dann
weg, bei den arbeitsintensiven sollen die Lohnnebenkosten runter, aber wie das
steuertechnisch geht, ist mir nicht klar. Die Finanz- und Steuerverwaltung
beklagt doch immer das komplizierte Steuersystem hier in Deutschland, bei dem
bald jeder einen Steuerberater braucht. Diese Ökosteuer würde das nochmals
komplizieren.
Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Eine Frage war, wie es mit
Kfz- gegenüber Mineralölsteuer ist. Ich halte es für einen sehr guten Vorschlag,
der auch inzwischen unter Politikern weitgehend Konsens ist. Ich würde sogar
noch ein Stück weiter gehen. In Kalifornien hat man angefangen, die Auto- bzw.
Haftpflichtversicherung an der Tankstelle zu kassieren. D.h. mit jedem Liter
Benzin muß man ein Stückchen Versicherung bezahlen. Das ist zwar vielleicht
ungerechter gegenüber denjenigen, die deswegen besonders sicher fahren, weil sie
sehr viel fahren. Aber es ist trotzdem im statistischen Durchschnitt nicht
unvernünftiger als unsere rein auf die Zeit bezogene Versicherung. Die
kalifornische Lösung bedeutet einen zusätzlichen Anreiz, zusätzliche Kilometer
aus Kostengründen zu vermeiden.
Ich möchte es wirklich kurz machen. Ich
unterscheide mich von Herrn Weizsäcker darin, daß ich glaube, wir sollten uns
angesichts der hohen Steuerbelastung in Deutschland, auch angesichts der hohen
Energiesteuer, nicht Gedanken darüber machen, wie wir noch mehr abschöpfen
können, sondern wie wir Steuern senken können. Vorhin habe ich in einem
Vorgespräch mit einem Theologieprofessor gesprochen, der auch für die Ökosteuer
ist. Dem habe ich gesagt, dafür könne man ja die Kirchensteuer wegnehmen.
Daraufhin war die Begeisterung nicht mehr so groß. Ich meine, wir sollten nicht
immer weiter Steuern draufsatteln.
Ernst Ulrich von Weizsäcker:
Die ökologische Krise zwingt
uns, langfristig zu denken. Die heutige Energiewirtschaft lädt der Generation
unserer Enkel und Urenkel Hypotheken auf, von denen wir nicht sicher sind, ob
unsere Enkel damit überhaupt fertig werden können. Wir müssen unser heutiges
ökologisches Wissen nutzen, um eine risikovermindernde Strategie auch im
Energie- und Industriebereich zu entwickeln. Wenn wir das mit der Brechstange
von heute auf morgen machen würden, dann gäbe es in der Tat große
Arbeitsplatzverluste und sehr bald keinerlei Akzeptanz in der breiten
Bevölkerung mehr für diese Maßnahmen. Deswegen bin ich sehr für einen sanften
Übergang, bei dem kein Kapital vernichtet wird. Es ist dabei wichtig, daß alle
Akteure auch ein Minimum an Glaubwürdigkeit behalten. Ich war sehr dankbar, daß
Herr Steuer erwähnt hat, daß es Leute gibt, die dreimal im Jahr in Übersee
Urlaub machen und zuhause damit angeben, wie ökologisch richtig sie sich
verhalten. Diese Unglaubwürdigkeit empfinde ich als skandalös. Ich möchte nur
genau deshalb sagen, daß man keinen Ökodiktator braucht oder sagt: Du warst
schon auf den Seychellen, für die nächsten fünf Jahre also nicht mehr.
Stattdesssen braucht man vernünftigerweise eine Kerosinsteuer.
AK Solidarität
Jetzt!
Fritz-Erler-Akademie
SPD-Ortsverein
Tübingen
Letzte Änderung: 05.01.2002