AK Solidarität Jetzt!   Fritz-Erler-Akademie   SPD-Ortsverein Tübingen

Tübinger Forum

Ökologischer Umbau - Ökosteuer
Modischer Unsinn oder Überlebensnotwendigkeit?

Ein Streitgespräch
Dr. Wilfried Steuer
Vorsitzender des Vorstands der Energie-Versorgung Schwaben AG
       Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Präsident des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie

Moderiert von Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin MdB

Die Veranstaltung fand am 3. Juli 1995 in der Universität Tübingen statt.

Vorwort des Arbeitskreises Solidarität Jetzt!        Vorwort der Fritz-Erler-Akademie Freudenstadt

Herta Däubler-Gmelin:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zu einem weiteren Streitgespräch im Rahmen des Tübinger Forums. Ich freue mich, daß Herr Dr. Wilfried Steuer, Vorstandsvorsitzender der Energieversorgung Schwaben, und Herr Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker, Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, sich bereitgefunden haben, heute Abend zum Thema "Ökologischer Umbau - Ökosteuer. Modischer Unsinn oder Überlebensnotwendigkeit?" zu diskutieren. Ich kann mir eine ausführliche Einleitung sparen, denn Sie alle wissen, worum es geht: Können wir so weiter machen wie bisher - oder nicht? Brauchen wir eine Energiewende - oder nicht? Brauchen wir eine Ökosteuer - oder ist das Unsinn? Um diese Fragen geht es, und ich darf jetzt Herrn Professor von Weizsäcker bitten, zu seinem Einführungsstatement das Wort zu ergreifen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Liebe Herta Däubler-Gmelin, werter Herr Dr. Steuer, meine verehrten Damen und Herren. Können wir so weiter machen wie bisher? Nein, das können wir nicht. Wir sehen, daß Chinesen, Thailänder, Mexikaner und Inder versuchen, das nachzumachen, was wir ihnen vormachen. Wir verbrauchen gegenwärtig pro Kopf fünf-, zehn-, zwanzigmal mehr Natur. Wenn dies alle nachmachen würden, wäre die Erde am Ende.

Die Klimaforscher halten zu einer wenigstens ansatzweisen Stabilisierung der Atmosphäre eine Verminderung der Treibhausgasemissionen um 60-80 Prozent weltweit für unerläßlich. Herr Professor Bolin, der Präsident des Intergovernmental Panel On Climate Change, hat zur Eröffnung des Berliner Klimagipfels erklärt: Wenn wir nur das erreichen, worum die Diplomaten gegenwärtig vergeblich kämpfen, nämlich eine Stabilisierung der Emissionen auf dem Niveau von 1990, dann werden sich noch 200 weitere Jahre Erhöhungen der Konzentrationen ergeben. Das heißt also, eine Stabilisierung der Emissionen ist viel, viel zu wenig. Wir brauchen eine drastische Reduktion der Emissionen. Die Frage ist: Wie?

Heute bestreitet die Atomenergie größenordnungsmäßig fünf Prozent des Weltenergiebedarfs. Wenn wir unter Zurückstellung sämtlicher Bedenken, einschließlich der finanziellen Bedenken, der Kapitalgeberbedenken, an denjenigen Stellen der Welt, wo der Energiebedarf wirklich wächst - in den Entwicklungsländern - eine dramatische Vermehrung der Kernenergie durchpauken, eine weltweite Verdreifachung (und dann haben wir Reaktoren an Stellen, wo so etwas passieren kann wie in Ruanda - etwas weniger friedlich als Neckarwestheim oder andere Orte hier), dann haben wir 15 Prozent der Weltenergietorte mit Kernenerige gefüllt. Und wenn sich, wie die Weltenergiekonferenz ständig sagt, in der gleichen Zeit der Weltenergiebedarf verdoppelt, dann sind das nur noch 7,5 Prozent des gesamten Kuchens. Ich möchte also vorschlagen, einzuräumen, daß - völlig unabhängig davon, wie man zur Stillegung oder zum Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland steht - Kernkraft das Klimaproblem jedenfalls nicht löst.

Über Solarenergie läßt sich etwas ganz ähnliches sagen: Solar- und Windenergie decken heute zusammen ein halbes Prozent des Energiebedarfs. Und wenn wir dies unter Zurückstellung ökonomischer Bedenken mit Gewalt verzehnfachen, dann sind es fünf Prozent. Und wenn der Energiekuchen doppelt so groß wird, sind es noch 2,5 Prozent. Ich bin sehr für Solarenergie - aber sie ist nicht die Lösung des Problems! Die Frage ist: Was ist dann die Lösung des Problems?

Am Wuppertal-Institut und am Rocky Mountain Institute in den USA und an anderen Orten sind wir dabei zu versuchen, die Möglichkeit einer Energie-Effizienz-Revolution aufzuzeigen. Ich bin dabei, mit Amory Lovins, dem Leiter des Rocky Mountain Institute, ein Buch zu produzieren - es kommt im Herbst heraus - mit dem Titel "Faktor 4 - Doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch". Das beginnt mit 50 Beispielen davon, wie man aus einer Einheit Energie - einem Gigajoule oder einer Kilowattstunde - oder einer Einheit Stoff - Wasser oder Kupfer z.B. - bei gleichen Dienstleistungsqualitäten etwa viermal so viel Wohlstand herausholen kann. Nur: Da sind tausende, hunderttausende von kleinen Schritten involviert, die alle von einzelnen Marktteilnehmern gegangen werden müssen, damit diese Revolution auch zustande kommt. Wir können keine hunderttausend Verordnungen und Gesetze erfinden, um jeden einzelnen Energiebedarf zu regeln und effizienter zu machen, so à la Wärmeschutzverordnung. Dazu ist das Problem viel zu komplex.

Die einzige Chance ist, daß man dasjenige Signal, das alle Marktteilnehmer verstehen, nämlich den Preis, so verändert, daß das Wegrationalisieren von Kilowattstunden oder Gigajoules rentabler wird als das Wegrationalisieren von Menschen. Das ist der Grundgedanke der ökologischen Steuerreform - absolut freiheitskonform also - es wird überhaupt nicht in Details des Wirtschaftsgeschehens eingegriffen - und bewußt aufkommensneutral. Das heißt also, der Steuerzahler als statistische Masse zahlt keinen Pfennig mehr, und es wird das gesamte Aufkommen im Bereich Energie- oder anderer Umweltsteuern verwendet, um die drückenden Lohnnebenkosten in Schach zu halten, die drohen, in den nächsten 20, 30 Jahren in schwindelnde Höhen anzusteigen, wenn das Älterwerden unserer Gesellschaft weitergeht. Das ist das, was nach meiner Ansicht für die Sicherung des Standorts Deutschland, für die Modernisierung in Bezug auf das, was die Weltmärkte wirklich brauchen werden, nämlich energie- und rohstoffeffiziente Produkte und Dienstleistungen, die bei weitem beste Sicherung abgibt. Es ist für mich fast unbegreiflich, wie Vertreter der deutschen Industrie, und an deren Spitze der Präsident des BDI, unter Berufung auf den Standort Deutschland behaupten, wir dürften keine ökologische Steuerreform machen.

Glücklicherweise gibt es auch Vernunft in Wirtschaftskreisen: Kürzlich ist von der "Wirtschaftswoche" - nicht von irgendeinem Ökomagazin - eine Umfrage unter deutschen Unternehmen gemacht worden (etwa 80 Prozent bekannten ihre Besorgnis vor rot-grünen Bündnissen - es war also nicht ein sozusagen grüner Ausschnitt aus der Unternehmerschaft): Zwei Drittel der Unternehmer sagten, sie seien für eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform. Wenn man bedenkt, daß die Wirtschaft eigentlich dafür ist, bedarf es kaum noch stärkerer ökologischer Argumente. Vielen Dank.

Wilfried Steuer:

Verehrte Frau Vorsitzende, lieber Professor Weizsäcker, meine lieben Tübinger Freundinnen und Freunde! Ich freue mich, daß ich nach 40 Jahren wieder einmal in meiner "alten Musenstadt" Tübingen sein kann, in der ich damals mit meinem alten Fahrrad und einer kleinen Dachkammer nur wenig zum CO² -Ausstoß beigetragen habe.

Nun, ich kann Ihnen, lieber Herr Professor Weizsäcker, in vielem zustimmen, vor allem im Ziel. Nur die Wege sind vielleicht verschieden: Obwohl ich Steuer heiße, bin ich gegen eine Ökosteuer, sonst wäre ich wahrscheinlich gar nicht hier. Ich möchte ihnen auch ganz kurz die Gründe sagen:

Erstens haben wir in Deutschland heute ohnehin schon zu viele Steuern und ein viel zu kompliziertes Steuersystem. Und ich finde es ein bißchen eigenartig, daß man sich jetzt - nachdem erst vor wenigen Monaten das Bundesverfassungsgericht den Kohlepfennig für verfassungswidrig erklärt hat, der den deutschen Stromkunden immerhin jährlich rund 5,5 Milliarden D-Mark verfassungswidrig aus der Tasche geholt hat - nicht einmal dafür entschuldigt oder dies bedauert, sondern daß man sofort wieder mit einer neuen Stromsparsteuer kommt. Ich höre auch gerne, wenn man sagt, das ist aufkommensneutral, aber das wäre für mich schon wie ein zweites Wunder. Denn ich habe noch nie erlebt, daß eine einmal eingeführte Steuer wieder abgeschafft worden ist. Das beste Beispiel: Die Sektsteuer wurde vor hundert Jahren zur Finanzierung der kaiserlichen Marine erhoben. Inzwischen sind alle Schlachtschiffe längst auf dem Grund des Meeres, aber die Sektsteuer besteht nach wie vor.

Zum zweiten: Ich glaube, wir können das CO² -Problem, das Umweltproblem, nicht national lösen. Am deutschen Wesen wird auch die Umwelt weltweit nicht genesen.Wir müssen das weltweit, zumindest europäisch anpacken, sonst hat es auch im Ergebnis wenig Sinn. Ich nehme die Arbeitsplätze in Deutschland noch wichtig, und wenn ich in die Parteiprogramme der Parteien hineinschaue, wird überall das Bekämpfen der Arbeitslosigkeit als Punkt eins angesehen. Wenn wir die Energie bei uns verteuern - sie ist ohnehin jährlich schon mit 90 Milliarden D-Mark belastet - führt das dazu, daß die sogenannten energieintensiven Industrien ins Ausland abwandern müssen: Stahl, Chemie, Papier, Holz. Allein bei der Chemie sind rund zwei Millionen Arbeitsplätze betroffen. Wir verlieren auf der einen Seite Arbeitsplätze, tun dabei aber auch der Umwelt nichts gutes: Denn wenn die im Ausland investieren, dann investieren sie dort mit einem niedrigeren Umweltstandard.

Zum weiteren finde ich die Ökosteuer auch unsozial. Ich glaube, es sollte nicht so weit kommen, daß sich nur noch der Reiche Strom und Benzin leisten kann. Und oftmals, wenn ich höre, daß der Benzinpreis auf fünf D-Mark angehoben werden muß, fordern dies Leute mit einem Dienstwagen und Chauffeur. Man muß aber auch einmal an die Bewohner in den ländlichen Räumen denken, die keine Alternative zum Auto haben. Oder an kinderreiche Familien, wo die Oma noch zu Hause ist, wo zu Hause noch gewaschen, gekocht, eingedünstet wird - das sind doch für mich keine Stromverschwender! Und deshalb verstehe ich manchmal auch Politiker aus sozialen Parteien nicht, die hier unter anderem der linearen Stromsteuer das Wort reden. Oder wenn man der Landwirtschaft, die ohnehin in einem großen Existenzkampf steht, die Dieselkraftstoffverbilligung wegnehmen will, die damals eingeführt wurde, weil man gesagt hat, der Bauer fährt meistens mit seinem Traktor auf seinen Feldern, auf seinen Wiesen und nicht auf öffentlichen Straßen.

Dann ein weiterer Punkt: Wenn man schon den CO²-Ausstoß bekämpfen will, verstehe ich wiederum nicht, daß man gegen die Kernenergie ist, denn die Kernenergie spart in Deutschland immerhin jährlich rund 150 Millionen Tonnen CO². Und ich frage mich, wie das ersetzt werden soll. Wenn ich die Koalitionspapiere von Nordrhein-Westfalen sehe, müssen da ja große Wunder vollbracht werden, denn man ist dort gegen Steinkohle und Braunkohle - und gegen die Kernenergie. Das sind also 80 Prozent des Energiebedarfes in Nordrhein-Westfalen - ich bin gespannt, wie das dort ausgeht. Aus diesem Grund bekennen wir uns zur Kernenergie. Und ich sage ihnen auch ganz offen: Ich sehe das Problem der Kernenergie nicht in Deutschland - unsere 20 Kernkraftwerke gehören zu den sichersten der Welt - ich sehe das Problem im Osten und im Südosten, und ich glaube, es wäre viel wichtiger, wenn man gemeinsam im Westen daranginge und die Tschernobyl-Reaktoren stillegen würde. Aber da gibt es ja auch schöne Scheinheiligkeiten: Wenn ich an unsere Freunde in Österreich denke, die die Kernkraftwerke bei sich abgeschaltet haben und den Strom aus Tschernobyl-Reaktoren in der Ukraine beziehen. Das halte ich auch nicht gerade für eine feine Sache.

Im Hinblick auf den europäischen Wettbewerb sollten wir den Strompreis senken - das wird auch zurecht immer wieder gefordert. Immerhin ist der deutsche Strom 30 Prozent teurer als der in Frankreich. Wir sind auch bereit, den Strompreis in Haushalten und in der Landwirtschaft zu senken, weil wir glauben, daß dort dieses hohe Niveau auf die Dauer nicht durchzuhalten ist.

Im übrigen, was sollen wir tun? Ich kann für mein Unternehmen sagen: Wir erzeugen heute schon 70 Prozent des Stromes CO²-frei, wir investieren viel in regenerative Energien, wir haben über 13 Prozent Wasserkraft, wir sind bei der Windkraft dabei, bei der Sonnenenergie - aber wir meinen eben, daß diese regenerativen Energien nicht in ein paar Jahren den bewährten Energiemix Kohle-Kernkraft bei uns ersetzen können. Und im übrigen meine ich, es sollte jeder mit gutem Beispiel vorangehen. Also, ich persönlich habe da keinen Nachholbedarf und habe auch immer ein gutes Gewissen. Ich habe auch die Position als Präsident des deutschen Atomforums gerne angenommen. Wenn ich am Freitagabend auf der Schwäbischen Alb bin, lebe ich zwei Tage autofrei bei meinen Schafen; ich habe einen Kachelofen, ich arbeite in meiner Schäferei und produziere kein CO². Bloß bin ich dann manchmal erstaunt, wenn ich am Montagmorgen die Zeitungen lese und sehe, wie unsere Umweltpolitiker in der ganzen Welt umherreisen, Umweltkongresse abhalten und bei so einem Flug von Deutschland nach Brasilien das anderthalbfache des Jahresverbrauchs einer normalen deutschen Familie verbrauchen. Also ich glaube, auch da wäre weniger manchmal mehr.

Ich bedanke mich nochmals für die Aufmerksamkeit und für die Einladung nach Tübingen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Herr Steuer, Sie sagen, Deutschland allein könne das Klima nicht retten - da haben sie natürlich recht - sie sagen aber gleichzeitig mit Recht, man soll mit gutem Beispiel vorangehen. Genau darum geht es mir. Wenn wir es in Deutschland schaffen, mit der Effizienzrevolution, die ich im Laufe des nächsten halben Jahrhunderts für das Technologieereignis unserer Zeit schlechthin halte, voranzugehen, lösen wir eine Welle aus, in China, in Indien und auch an anderen Orten, wo die Effizienzrevolution eigentlich noch viel nötiger ist. Ironischerweise ist es so, daß dort heute auf Robotik und High Tec der blödsinnigsten Sorte gesetzt wird. Und wenn man sie fragt, warum, dann sagen sie: Ja, wir machen doch nur das nach, was ihr vorgemacht habt! Wenn wir also nicht mit gutem Beispiel vorangehen in Richtung dessen, was sowieso kommen muß, dann verpassen wir unsere eigene technologische Zukunft, die Absatzmärkte und auch die moralische Berechtigung, in der weltökologischen Frage mitzureden. Sie haben weiter gesagt, daß unsere Arbeitsplätze gefährdet wären durch hohe Energiepreise. Ich kenne ökonomische Untersuchungen, nach welchen der volkswirtschaftliche Erfolg positiv und nicht etwa negativ mit den durchschnittlichen Energiepreisen korreliert. Und im Übrigen kann man, wenn es um einzelne gefährdete Betriebe oder Branchen geht, so vorgehen wie die Dänen, die einen Schutz für ihre Industrie in der ökologischen Steuerreform eingebaut haben, so daß kein einziger dänischer Betrieb emigriert ist.

Wilfried Steuer:

Das kann man von Deutschland leider nicht sagen. Ich erinnere Sie an das große Geschrei, das aufgetreten ist, als Mercedes-Benz sein kleines Auto in Frankreich produzierte. Und wir erleben ja, wie die chemische Industrie verstärkt in Asien, Amerika und Holland investiert, weil die Kosten bei uns eben zu groß sind. Man mag das bedauern, man mag sagen: Ja, gut, wir Deutschen müssen die Vorreiter sein, aber wenn ich dann andererseits immer wieder von allen Parteien Appelle höre, man soll Lehrlinge ausbilden, die Zahl der Lehrstellen vermehren, dann frage ich mich: Wie soll ich das tun, wenn ich keinen Absatz mehr habe?

Und noch etwas: Die deutschen Energiepreise sind ja weltweit mit die höchsten, was immer wieder beklagt wird. Ich habe eben schon gesagt, daß Energie bei uns mit 80-90 Milliarden Mark steuerlich belastet ist. Auf der anderen Seite vertraue ich mehr auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. In der chemischen Industrie wird heute das doppelte erzeugt mit der Hälfte an Energie. Die Wirkungsgrade unserer Kraftwerke - ich denke an die Entstickung, Entschwefelung - wurden gewaltig erhöht. Allzuviel ist da gar nicht mehr drin. Und ich frage sie, was es global für das Klima bedeutet, wenn wir jetzt an der Spitze vielleicht noch zwei Prozent herunterholen, und wir haben im Ausland Kraftwerke stehen, die im Vergleich zu unseren das drei- bis vierfache an Ausstoß haben. Also ich bin einfach dafür, daß man die Dinge globaler sieht und daß wir nicht glauben, in unserem trotz der Wiedervereinigung schmalen Handtuch Deutschland könnten wir die CO²-Probleme der ganzen Welt lösen.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Ich hoffe nicht, daß ich den Eindruck erweckt habe, einem Öko-Provinzialismus das Wort zu reden: Ich habe hauptsächlich mit dem Ausland und der globalen Dimension argumentiert. Man geht doch als deutscher Unternehmer nach Asien nicht wegen der Energie! Denn die ist in Indien so knapp, daß da in vielen Dörfern und auch Städten überhaupt nur eine Stunde am Tag Energie geliefert wird. Der einzige Grund, weswegen dieser große Kapitalexport stattfindet, ist die billige Arbeitskraft. Das wissen Sie auch. Es ist trotzdem völlig richtig, daß ein schlichter Transfer von Dinosauriertechnologien von Deutschland nach Brasilien ökologisch nichts bringt. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß man hier Kapital vernichten muß. Ich habe nur gesagt, wir müssen das Kapital veranlassen, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu investieren. Wenn die von Ihnen angesprochenen Selbstheilungskräfte der Wirtschaft dieses auch wirklich wahrnehmen würden, dann würden sie nicht heulen um bitte noch etwas billigere Energiepreise, wo wir doch wissen, daß im Laufe der nächsten 20-30 Jahre weltweit die Energie viel zu knapp sein wird, das heißt teuer werden muß.

Im übrigen will ich noch ein weiteres, gewissermaßen persönliches Angebot in den Raum stellen: Wenn es richtig ist, daß es viel mehr bringt, in Kasachstan oder China den Wirkungsgrad der Kraftwerke zu erhöhen als bei uns noch zwei Prozent mehr herauszukitzeln, dann kann man ja die sogenannte Joint Implementation üben, d.h. gemeinsam zwischen Kasachstan und Deutschland die Verpflichtungen der Klimakonvention erfüllen. Dagegen hat ja kein Umweltschützer etwas. Nur die Entwicklungsländer haben etwas dagegen.

Wilfried Steuer:

Noch einmal zur Klimakonferenz: Die hehren Schwüre, die dort gemacht wurden - ich glaube 25 Prozent an CO² sollen in Deutschland eingespart werden - also, da muß ich Sie schon fragen: Wie wollen Sie denn das machen ohne Kernenergie? Wir haben in Deutschland heute 33 Prozent Kernenergie, bei uns im Süden 60 Prozent - mehr läßt sich von heute auf morgen nicht machen. Was die Verteuerung anbetrifft: Was machen die Leute im ländlichen Raum bei fünf D-Mark für einen Liter Benzin? Als wir vor einem halben Jahr angeregt haben, bei der Zusammenfassung der Tarife im Haushalt die Preise monatlich um vier D-Mark zu erhöhen, da wurde der Chef des Badenwerks vom SPD-Minister Spöri und zwei Tage später von Ministerpräsident Teufel zurückgepfiffen, daß das nicht ginge in einer Zeit, in der die Abgaben immer wieder erhöht würden. Also ich bin gespannt, was Sie vor dem Wahlkampf sagen, wenn wir das alles machen, was in den Umweltkongressen beschlossen wird.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Ich halte die Kernenergie nicht für die Spitze des Fortschritts. Sie ist eine inzwischen etablierte Technologie. Ich habe auch nicht gesagt, daß man die Kraftwerke, die gut und sicher funktionieren, vor ihrer Zeit abschalten soll. Ich finde es nur höchst unvernünftig, neue zu bauen, weil - jedenfalls unter verschiedenen Bedingungen in Amerika und zum Teil auch in Europa - eine investierte Mark in Energieeffizienz mehr CO²-Reduktion bringt als eine investierte Mark in Kernkraft.

Ich habe auch nie gesagt, daß man - etwa gar über Nacht - das Benzin fünf D-Mark pro Liter kosten lassen soll. Ich sage immer, man soll die ökologische Steuerreform sehr langsam einführen, mit fünf Prozent Steigerung pro Jahr sowohl an der Zapfsäule wie im Heizölbereich wie im Industriebereich. Ich halte übrigens relativ wenig von einer reinen Stromsteuer; die halte ich zum Teil für kontraproduktiv. Aber wenn man diesen Pfad vor sich hat mit fünf Prozent pro Jahr, dann hätten wir in 14 Jahren eine Verdopplung, in 28 Jahren eine Vervierfachung. In ungefähr 20 Jahren wäre man dann bei ungefähr fünf D-Mark nach heutiger Kostenrechnung. Und das ist ungefähr die Zeit, in der die Autoindustrie die wesentlich effizienteren Autos auf den Markt bringen kann und die ganze Flotte ausgetauscht wird. In dem Buch, von dem ich gesprochen habe - "Faktor 4" - ist das erste Beispiel ein Auto, das nur noch 1,5 Liter auf 100 km braucht. Das ist dann für den ländlichen Raum ein Signal.

Wilfried Steuer:

Also Herr Professor Weizsäcker, ich bin aufgrund meiner Berufserfahrung immer etwas skeptisch bei Prognosen darüber, was in zehn oder 20 Jahren sein wird. Ich könnte Ihnen von meiner Zeit als Landrat Gutachten geben, die zeigen, was da im Jahr 1968 alles für das Jahr 1988 oder 1990 prognostiziert worden ist: Wie die Gemeinden zunehmen, wie alles mögliche wächst usw. Also ich bin der Meinung, daß sich unser Herrgott auch vom gescheitesten Propheten nicht in die Karten schauen läßt, und das Leben manchmal ganz anders kommt.

Und diese 600.000 neuen Arbeitsplätze, die durch die Ökosteuerreform geschaffen werden sollen - das ist für mich nicht plausibel. Was ist denn jetzt der Fall, Herr Professor, wenn wir wider Erwarten sämtliche Ihre Parolen befolgen und weniger Energie verbrauchen würden? Dann würde ja gar keine Steuer eingehen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen! Und im Übrigen: Die Energiepreise im Strom beeinflussen das Verbraucherverhalten kaum. Nach der Wiedervereinigung wurden in den neuen Bundesländern die Strompreise um 300 Prozent erhöht - der Stromverbrauch war derselbe. Ich glaube, wir sollten Strom und Benzin, also das Autofahren, nicht zu einer Luxussache für die Reichen machen, so daß nur noch diese sich das leisten können. Das Auto soll auch weiterhin der kleine Mann benutzen.

Und im Übrigen meine ich, wir sollten sowohl von der Wirtschaft wie auch von der Politik nicht allzuviel immer in die Menschen hineinreden und ihnen empfehlen, was sie machen sollten. Wenn man die machen läßt, sind sie im großen und ganzen manchmal viel vernünftiger als manche Ratgeber.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Ich stimme Ihnen gerne und vollständig zu, daß Energiegebrauch nicht zum Luxus werden darf. Ich hoffe, deutlich genug gesagt zu haben, daß für mich der Hauptadressat der ökologischen Steuerreform nicht der geplagte Verbraucher ist, sondern die industrielle und die zivilisatorische Entwicklung.

Die Prognosen, die in den 60er Jahren abgegeben worden sind, waren ja allesamt Wachstumsprognosen. Daß die sich nicht besonders gut erfüllt haben, das überrascht mich nun besonders wenig. Die Prognosen, von denen ich gesprochen habe, sind im wesentlichen die wohl im Konsens gegebenen Weltbevölkerungsprognosen und Weltenergiebedarfsprognosen und gleichzeitig die Feststellungen der Umweltschützer, daß wir die Verdopplung nicht aushalten, sondern eine Halbierung brauchen. Ich habe bisher aus deutschen Industriekreisen - Sie jetzt eingeschlossen - noch kein anderes Angebot bekommen, wie man diese Lücke von einem "Faktor 4" wieder schließen kann.

Sie haben weiter gesagt: Wenn Energie gespart wird, dann kommt ja nicht genug Geld herein, um die ganzen Arbeitsplätze zu schaffen. Ich habe die Logik des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welches dieses Gutachten gemacht hat, gar nicht so verstanden, daß der Fiskus Arbeitsplätze zu schaffen habe, sondern daß andere Steuerlasten so absinken, daß es sich wieder lohnt, zum Beispiel Arbeitsplätze zu schaffen, indem die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Und da kann man sagen: Wenn tatsächlich in dem Umfang in die Energieeffizienz investiert worden ist, dann wird allein schon dadurch der Faktor Arbeit ganz erheblich ausgedehnt.

Wilfried Steuer:

Nochmal zum Energiesparen: Da kann ich nur für die Energieversorungsunternehmen sagen, daß wir seit über zehn Jahren diese Energiesparprogramme laufen haben, also mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Die ganze Industrie hat energiesparsame Geräte entwickelt - das gilt auch für die Autoindustrie. Ich habe Ihnen vorher gesagt, wie wir durch moderne Technik den Schadstoffausstoß in unseren Kraftwerken reduziert haben. Das sind alles Dinge, glaube ich, die sich sehen lassen können. Aber nochmals: Ich halte wenig davon, wenn man glaubt, mit Beschäftigungsmaßnahmen neue Arbeitsplätze schaffen zu können.

Und dann die ganze Ökosteuer: Das führt ja zu einer weiteren Verkomplizierung unseres Steuersystems. Heute klagt ja ohnehin schon alles. Wer wird denn entlastet bei den Lohnnebenkosten? Da stehen ja heute schon die Gewerkschaften auf der Matte, weil das Öko-Institut vorhat, die Arbeitgeber zu entlasten und nicht die Arbeitnehmer. Das sind doch alles komplizierte Dinge! Ich glaube, wir sollten doch die soziale Marktwirtschaft jetzt nicht noch weiter knebeln und immer mit staatlichen Eingriffen der Hin- und Herverteilung kommen, bis am Schluß bei uns gar nichts mehr läuft, sondern mehr auf die freien Kräfte des Marktes vertrauen, die uns auch den Wirtschaftsaufschwung gebracht haben.

Herta Däubler-Gmelin:

Jetzt lassen sie uns über die Frage diskutieren, wie unsere Welt in 20 Jahren aussehen wird, wenn wir alles so machen, wie Herr Steuer es uns sagt. Und wie könnte die Welt aussehen oder wie wird sie aussehen, wenn sich das Konzept von Herrn von Weizsäcker durchsetzt? Seien sie bitte so freundlich und nehmen sie jeweils zu dem einen oder anderen Modell bzw. zu dieser Frage Stellung.

Ernst Ulrich von Weizsäcker:

Wenn man Energie weiterhin hätschelt und verbilligt, werden wir eine weitere Verbilligung der Transportkosten auf den Weltmeeren, im Weltluftraum und auch sonst innerhalb Europas haben. Stephanie Böge hat bei uns am Wuppertal-Institut ausgerechnet, daß für einen Erdbeerjoghurt, der bei uns auf den Tisch kommt, etwa 8.000 km Lastwagen gefahren werden. Dies wird sich weiter ausdehnen, wenn die Politik es für ein vernünftiges Ziel hält, die Energie weiter künstlich billig zu machen. Die Weltmärkte für Energie lügen uns ja schamlos an. Der Rotterdam-Spotmarkt reflektiert eine Regierungskrise in Nigeria, wo die Regierung auf einmal wie wahnsinnig Öl verkaufen muß. Das hat überhaupt nichts mit der langfristigen Knappheit zu tun und mit den Umweltkosten schon gar nicht. Das ist ein typischer Fall, wo der Markt gar nicht anders kann als zu versagen, und wo deshalb nur der Staat eingreifen kann. Wenn wir es in 20 Jahren immer noch nicht geschafft haben, diesen verzerrten und verheerenden, zerstörerischen Markt zu korrigieren, dann werden noch mehr Investitionsruinen und Dinosaurier nicht mehr nur in Deutschland, sondern auch in zahllosen Entwicklungsländern herumstehen, so daß es noch viel schwieriger als heute sein wird, das Ruder noch einmal umzulenken. Das, was ich dagegen vorschlage, würde in diesen 20 Jahren dazu führen, daß die Energie etwa dreimal so teuer wäre wie heute, in jedem einzelnen Jahr nur fünf Prozent teurer, so daß in keinem Jahr eine energiekostenbedingte Kapitalvernichtung eintreten würde, keine Investitionsruinen, aber das frisch verdiente Geld würde in die Zukunft investiert. Und diejenigen Länder, die sich diesem Programm der Ressourceneffizienzrevolution gewidmet haben, würden von den Aktionären und den Kapitalanlegern aus aller Welt - also nicht nur aus Deutschland - hofiert und umworben, weil dies der eigentliche Zukunftsmarkt ist.

Wilfried Steuer:

Ich glaube, so weit sind wir gar nicht auseinander. Wer von uns will denn keine gesunde Umwelt? Wir trennen uns darin, daß ich sage, man soll nicht alles reglementieren, ich vertraue mehr auf die Einsicht der Menschen und auf die Einsicht der Wirtschaft. Und was die Energiepreise anbetrifft - also nochmal, Herr Weizsäcker, da können sie doch wirklich nicht sagen, daß wir in Deutschland billige Energiepreise haben! Wenn ich in anderen Gremien bin, bekomme ich immer Riesenvorwürfe, daß bei uns der Strom für die Industrie 30 Prozent teurer ist als in Frankreich.

Nochmals: Wir sollten uns gemeinsam anstrengen, innovative Kräfte zu entwickeln, nach neuen Energiearten zu suchen und keine Energieart zu verdammen, wie das häufig so einfach gemacht wird. Sie sehen doch: Jede Energieart, wie jedes Leben überhaupt, hat seine Risiken. Nehmen Sie die Kohle, die Bergwerke - mal abgesehen vom CO² - wer spricht von den Hunderten von Bergleuten, die unten geblieben sind? Und so meine ich, daß man anstatt sich gegenseitig zu bekriegen das Beste aus der Sache machen sollte.

Und nochmals, Herr Weizsäcker, in der Energieverteuerung sehe ich keine Chance. Ich halte das für unsozial, ich halte die Lenkungsfunktion für gering und sehe das große Problem auf uns zukommen, daß wir ganze Industriebereiche aus Deutschland vertreiben und daß wir eine große Arbeitslosigkeit mit all den Problemen bekommen, die wir in unserer Geschichte schon einmal gehabt haben.

Fortsetzung ...


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Letzte Änderung: 05.01.2002