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Tübinger Forum

Frauen und Familien im vereinigten Deutschland -
Bleiben sie auf der Strecke?

Ein Vortrag von

Dr. Regine Hildebrandt

(Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie
des Landes Brandenburg)

Die Veranstaltung fand am 19. Januar 1994 in der Universität Tübingen statt.


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Inhalt:

Fortgesetzt von ...

(Fortsetzung:) Vortrag von Dr. Regine Hildebrandt

Wenn ich von Familie spreche, meine ich nicht Vater, Mutter, Kind mit Trauschein, sondern ich meine damit auch Alleinerziehende, auch Lebenspartner, bis hin zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, an die wir uns nun auch langsam gewöhnen müßten. Die Familie in diesem Sinn ist wirklich ein ganz wesentliches Element dieser Gesellschaft, in dem die nötige Zuwendung, die nötige Motivation und das nötige emotionale Auffangen zustande kommt. Und das müssen wir pflegen, wir brauchen es jetzt mehr denn je. Denn hier kann auch der Umgang mit Gewalt, die Erziehung zu Gewaltlosigkeit und das Beherrschen von Gewalt geübt werden. Ich glaube, das ist heute ganz dringend nötig.

Aber was ich Ihnen außer dieser Grundtendenz unbedingt mit auf den Weg geben möchte, ist nun Praktischeres. Wie sieht es mit den Familien bei uns in Deutschland, bei uns in Europa aus? Mich hat erschüttert, daß ein Forschungsbericht Familienpolitische Fördersysteme in der EG 1992 ergeben hat, daß die 4 Hauptgründe für Armut folgende sind: Zunächst Kinderreichtum! (Kinderreichtum beginnt dabei mit drei Kindern). Das zweite Armutsrisiko ist der Status der Alleinerziehenden. Wenn Sie allein erziehen, haben Sie also das zweithöchste Armutsrisiko in Europa. Danach erst kommt Arbeitslosigkeit und dann soziale Randständigkeit. Daß angesichts dieser Zahlen nicht ein Aufschrei durch die ganze Nation geht, wundert mich, zumal im Jahr der Familie. Ist die Finanzausstattung in dieser Gesellschaft so katastrophal, daß Sie sich buchstäblich entscheiden müssen, ob Sie Kinder haben oder ob Sie in Wohlstand leben wollen? Bezeichnend dafür ist auch die Entwicklung der Haushalte zwischen 1981 und 1990: Das Bruttosozialprodukt ist um 58,6 Prozent gestiegen, der Bundeshaushalt um 33,8 Prozent, die Löhne um 32,7 Prozent, die Preise um 21,5 Prozent und die Leistungen des Familienlastenausgleiches sind plus minus Null geblieben. Ich könnte auch gemein sein und sagen, sie haben abgenommen: von 29,11 Milliarden auf 29,00 Milliarden. Die Frage ist: Ist das gewollt? Ist das möglich? Ich habe bereits erwähnt, daß 22 Prozent der Alleinerziehenden Sozialhilfeempfänger sind. Umgekehrt heißt das, daß ein großer Teil der Alleinerziehenden von Sozialhilfe lebt. So haben wir etwa eine Millionen Kinder, die von Sozialhilfe leben! Wir haben 'zigtausend Kinder, die in Obdachlosenasylen groß werden. Ich rede nicht etwa von Osteuropa, sondern ich rede von der Bundesrepublik Deutschland, ich rede von einem der reichsten Länder der Erde. Ich finde das unerhört!

Welche Familienlastenausgleichsleistungen haben wir? Sie kennen sie weitgehend: Das Kindergeld beträgt 70 Mark für das erste Kind. Sie haben ja ungefähr eine Vorstellung, was Sie mit 70 Mark einem Kind an Wohltaten alles leisten können. Einen Geburtstag könnte man heute vielleicht mit Geschenken ausstatten, aber mehr wohl nicht. 130 Mark Kindergeld gibt es für das zweite, 220 Mark für das dritte, 240 Mark für das vierte Kind und dann immer einen entsprechenden Zuschlag bei mehr Kindern, aber das steht doch in keinem Verhältnis zum Aufwand. Dann gibt es den Steuerfreibetrag, der unter der großen Überschrift "Gerechte Lastenverteilung" steht. Steuerfreibetrag heißt: Wenn Sie viel Geld verdienen und viel Steuern zahlen, bekommen Sie relativ viel dazu. Verdienen Sie wenig und zahlen wenig Steuern, kriegen Sie relativ wenig dazu. Zahlen Sie gar keine Steuern, denn kriegen Sie 65 Mark dazu, allerdings vom Arbeitsamt. Mit anderen Worten: Diese Regelung begünstigt diejenigen noch ein bißchen mehr, die ohnehin schon begünstigt sind, und benachteiligt dafür die anderen ein bißchen mehr. Es ist absurd! Und deswegen werden wir dies auch ändern, sobald wir es können. Unsere konkrete Forderung lautet: Das Kindergeld soll bei 250 Mark pro Kind liegen; dies ist für uns auf jeden Fall obligatorisch. Das ist zwar immer noch nicht ausreichend, denn unser eigentliches Ziel sollte bei 500 bis 600 Mark liegen. Das wäre das zu sichernde Existenzminimum des Kindes, worauf schon vom Bundesverfassungsgericht hingewiesen wurde. Man müßte sehen, wie wir das über Steuern oder über eine Kinderkasse finanzieren könnten, denn es ist wirklich nötig, daß eine Gesellschaft die Kosten und Lasten der Kindererziehung nicht individualisiert, sondern sich dafür tatsächlich als Gesellschaft zuständig fühlt. Nun bin ich ja normalerweise ein relativ mutiger Mensch, aber es macht im Moment keinen Sinn, diese 600 Mark pro Kind, was insgesamt 120 Milliarden Mark ausmacht, zu fordern. Wir müssen es bloß als gerechteres Ziel im Visier haben und nicht verdrängen. Fangen wir mit den 250 Mark an und versuchen wir auf 600 zu kommen. Das halte ich für richtig.

Wo könnten wir nun die Mittel herkriegen? Die 250 Mark pro Kind sind aus den bisherigen Instrumenten einschließlich Begrenzung des Ehegattensplittings zu finanzieren. Auch dieses ist ein Instrument, das für mich unerträglich ist. Sie begünstigen hier nicht etwa die Tatsache, daß Kinder erzogen werden, sondern sie begünstigen die Tatsache, daß eine Frau zu Hause und nicht berufstätig ist. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt! So ist es in dieser Gesellschaft. Es geht darum, daß ein Mann, der viel Geld verdient und dessen Frau zu Hause ist, einfach so tun kann, als ob er nur die Hälfte verdienen würde und seine Frau ebenfalls, als ob also das Gesamtgehalt von zwei berufstätigen Personen verdient worden wäre. Beide "berufstätigen" Personen kommen jetzt in den Genuß der Steuerfreibeträge. Auf diese Art und Weise werden in erheblichen Größenordnungen, nämlich über 30 Milliarden Mark pro Jahr, Paaren Steuern einfach deswegen erlassen, weil sie verheiratet sind und die Frau zu Hause bleibt. Das darf so nicht bleiben! Wir müssen sicher einen Übergang finden, da etliche Menschen auf diese Regelung vertraut haben, aber so kann es nicht weitergehen. Wir wollen es zumindest begrenzen. Aber da wir ja schon gesagt haben, daß derjenige beim Splitting am besten wegkommt, der ohnehin schon viel verdient, lassen wir es lieber ganz. Nehmen wir statt dessen zum Beispiel das Geld, um Kinder direkt zu bezahlen und nicht um Steuerermäßigungen auszuklüngeln, dann haben wir für die Finanzierung des Kindergeldes noch eine Quelle, die wir angehen könnten.

Wichtig ist mir auch, daß man, wenn man die Familienpolitik insgesamt betrachtet, auch die Kindertagesstätten im Blick hat. Wie ich bereits sagte, haben wir in Brandenburg das Recht auf Kinderbetreuung für Kinder von 0 bis zu 12 Jahren festgeschrieben. Wir haben jetzt in der Bundesrepublik Deutschland in dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz 1996 als Ziel für das Recht auf Kinderbetreuung für Kinder von 3 bis 6 Jahren durchgesetzt. Allerdings gibt es wieder einige Bundesländer, die sagen, daß sie das nicht schaffen, und das in der reichen Bundesrepublik Deutschland, wo in einer Kommune mehr Geld für Autostellplätze ausgegeben wird als für Kindertagesstätten! Was lernen wir daraus? Wer macht denn diese politischen Weichenstellungen, wer sitzt denn da? Wer verantwortet es denn, daß gesagt wird, lieber noch eine Bodenschwelle auf die Straße, damit der Verkehr beruhigt wird? Sind in diesen Gremien die Geschlechter paritätisch vertreten? Es war im Osten erschreckend mit anzusehen, daß die Frauen, die die Wende maßgeblich mitgestaltet haben, in einer rasanten Geschwindigkeit aus den Gremien verschwunden sind. Die Mitgestaltung von Frauen im Osten, die zuvor bei über 50 Prozent gelegen hat, ist über 26 Prozent auf 4 Prozent zurückgegangen! Wenn wir also all diese Dinge durchsetzen wollen, dann dürfen wir nicht darauf hoffen, daß diejenigen, die dies in den entsprechenden Positionen bisher immer verhindert haben, es in Zukunft machen werden. Besser wäre es, wenn Frauen dort die Mitverantwortung übernehmen würden und bei den Entscheidungen mit dabei wären. Und sie könnten mit ihrer Erfahrung die Geldströme so verteilen, daß Kindertagesstätten tatsächlich nicht zu kurz kommen. Ich denke, wir dürfen die Kindertagesstätten nicht vergessen, ich halte sie für maßgeblich.

Unbedingt erwähnt werden muß auch der Komplex 'Wohnraum für Familien mit Kindern'. Natürlich kann man dieses Problem nicht nur gesetzlich angehen, denn es ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Aber wenn wieder mehr Familien Kinder hätten und auch zwei oder drei Kinder, denn wäre das natürlich eine ganz andere Lobby. Wir wollen, daß Wohneigentum gefördert wird, daß wir einkommensunabhängige Abzüge von der Steuer haben, d.h. ohne Staffelungen. Wir wollen, daß man Wohnbauten für Kinder fördert und Baukindergeld gewährt und daß Sozialwohnungen für Kinderreiche in stärkerem Maße zur Verfügung gestellt werden als bisher.

Und schließlich gibt es noch ein grundsätzliches Problem, daß darin besteht, daß die Kindererziehungsarbeit später bei der Rentenbemessung überhaupt nicht berücksichtigt wird. Ich bin zwar kein Fan der DDR und wollte dieses System loswerden; ich habe mich aber verpflichtet gefühlt mich einzumischen, als es zusammenbrach. Sie brauchen mich also nicht in eine roten Ecke zu stellen, aber ich muß trotzdem sagen, daß ich im Osten für meine drei Kinder, wie es üblich war, neun Jahre für die Rente angerechnet bekommen habe. Man bekam ein Jahr für jedes Kind und ab drei Kindern drei Jahre pro Kind angerechnet. Sie können jetzt sagen, dies sei übertrieben. Wir brauchen es auch so nicht zu machen, aber wenigstens ein Jahr Kindererziehung müßte rentenwirksam sein, und zwar nicht erst für Kinder, die jetzt geboren werden. Eine solche Regelung muß auch für die Menschen gelten, die bereits Kinder großgezogen haben und in Kürze in die Rente kommen. Dies halte ich für unabdingbar.

Ebenfalls für wesentlich, wenn es um Familien geht, halte ich die Pflegezeiten. Wenn sie Familienmitglieder pflegen, ist es nicht einzusehen, daß so getan wird, als ob es diese Leistung für die Familie und die Gesellschaft nicht gegeben hätte. Auch die Pflegezeiten müßten bei der Rente angerechnet werden. Sowohl Pflegezeiten, als auch Kindererziehungszeiten sind eine enorme Leistung, die für die Gesellschaft erbracht wird und die demzufolge auch honoriert und angerechnet werden muß. Diese familienpolitischen Themen, die Familienproblematik und die Kinderproblematik müßten meiner Ansicht nach auch adäquat im Grundgesetz artikuliert werden. Wir möchten, daß Kinder und Familie adäquat in der Verfassung repräsentiert sind, und auch wenn es bei unserem ersten Versuch hierzu nicht geklappt hat, so muß es uns langfristig doch gelingen.

Zusammenfassend möchte ich folgendes sagen: Wichtig für die Entwicklung der Familie in dieser Gesellschaft ist, daß wir sehen, was an sinnvollen und guten Regelungen in der DDR üblich war, und daß wir versuchen, diese Erfahrung nicht zu diskreditieren. Statt dessen muß man überlegen, ob es in der DDR sinnvolle Dinge gab, aus denen man lernen kann. Wenn wir unabhängig davon gemeinsam auch noch anderes durchsetzen, ist das umso besser. Die Frauen müssen sich stark machen, Frauen müssen automatisch überall dabei sein, Frauen müssen einen vernünftigen Beruf haben und sie müssen ihn auch ausüben. Natürlich kann jeder auch eine andere Variante realisieren, für die Frauenpolitik ist es aber wichtig, daß sich genug Repräsentanten dieses Lebensstiles und dieser Lebensart bemerkbar machen. In einer Zeit großer Arbeitslosigkeit, wie wir sie jetzt erleben, ist es von zentraler Bedeutung, daß Frauen nicht - wie so oft - zurückstecken und froh sind, wenn Papa arbeitet und sie selbst nun zu Hause bleiben. Wir müssen uns vielmehr, auch bei aller Solidarität mit den Ehemännern und Familienvätern, nach einem neuen Modell umsehen, einem besseren, gerechteren und verträglicheren Modell, das eine gleiche Partizipation für Mann und Frau an der Arbeit und eine gemeinsame Erledigung der Kindererziehung, der Familienarbeit und der Hausarbeit ermöglicht.

Ich habe mit meinem Enkelsohn begonnen und höre mit meiner Familie auf: Ich habe mir mit meinem Mann die anfallende Arbeit geteilt - und auch mit den Kindern, die natürlich gesehen haben, daß Mutti und Papa arbeiten. Die Mitarbeit der Kinder war eine Notwendigkeit, die auch eingesehen worden ist - wenn auch natürlich mit unterschiedlichem Erfolg. Aber dies kann sich auch organisch ergeben, und ich denke, das ist ein Modell für eine Zukunft, in der die Frauen und Männer mit den Kindern und mit der Gesellschaft besser auskommen könnten. Es wäre schön, wenn wir einem solchen Modell einen Schritt näher kämen.

Vielen Dank.

Antworten auf Fragen aus dem Publikum

Im Anschluß an den Vortrag machten einige Zuhörerinnen und Zuhörer von der Möglichkeit Gebrauch, Fragen an die Referentin zu richten. Im folgenden werden die Antworten entlang der verschiedenen angesprochenen Themenbereiche wiedergegeben.

Zur Verwendung der männlichen und weiblichen Form in der Sprache

Mit der Verwendung der weiblichen Form in der Sprache haben wir aus dem Osten immer Schwierigkeiten, und ich habe die Feuerprobe bei meinem heutigen Vortrag wieder nicht bestanden. Normalerweise bemühe ich mich immer, die weiblichen Endungen zu benutzen, sofern ich daran denke. Im Osten sind die Frauen der Meinung, daß das für sie überhaupt keine Rolle spielt; sie finden es geradezu komisch, wenn deswegen hier immer interveniert wird. Ich habe zum Beispiel Biologie studiert und an der Humboldt-Universität 1964 ein Diplom-Zeugnis erhalten, nach dem ich Diplom-Biologe bin. In unserem Landtagsabgeordnetenverzeichnis in Brandenburg steht immer eine kleine Kurzbiographie neben dem Bild der Abgeordneten, in der z.B. 'Finanzökonom' bei einer Frau steht, die das selber angegeben hat. Es ist wirklich so, daß das im Osten überhaupt nicht üblich war, da mit der Bezeichnung immer Mann und Frau gleichermaßen gemeint waren. Frauen fühlten sich also immer mit angesprochen, weswegen wir im Osten eine unterschiedliche Bezeichnung für völlig überflüssig hielten. Wenn ich jetzt aber im Westen merke, daß bewußt die männliche Form gewählt wird, weil man auch tatsächlich nur Männer meint, dann werde ich natürlich allergisch. Wir haben in der Landesregierung sogar durchgesetzt, daß die Gesetze mit männlichen und weiblichen Formen ausgeführt werden, und ich persönlich gebe mir jetzt auch immer Mühe die weiblichen Formen zu benutzen, zumindest gegenüber denjenigen, die darauf Wert legen. Es ist strapaziös und ich finde es selbst manchmal komisch, aber ich halte es für nötig. Deswegen versuche ich es zu machen, aber ich muß gestehen: Ich habe es heute Abend nicht geschafft.

Zum Frauenbild in den Medien

Zu den Medien habe ich bisher nichts gesagt, weil ich da immer sehr vorsichtig bin. Im Osten propagierten die Medien immer den 'sozialistischen Frauentyp', der alles gleichzeitig konnte. Sie haben versucht, diesen Typ zu prägen, aber als Frauen im Osten wollten wir gar nicht so sein. Wenn nicht normal berichtet wird und wenn nicht auch eine Repräsentanz unterschiedlicher Frauen in den Medien gegeben ist, dann kann sich Gleichberechtigung nicht entwickeln. Es sollte so sein, daß die Frauen in den Medien so dargestellt werden, wie sie sind. Aber ich möchte keine Medienschelte betreiben.

Zum internationalen Frauentag

Der 8. März war im Osten in erster Linie der Ehrentag der Frauen. Er wurde überall gefeiert, es wurden Aktivistinnen ausgezeichnet und die Männer haben den Kaffee eingegossen; das Geschirr ließen sie bis zum nächsten Tag stehen, weil dann der Frauentag vorbei war. Das ist meine Erinnerung an den Frauentag. Insgesamt habe ich ihn allerdings kaum zur Kenntnis genommen. Es war ein Anlaß zu feiern und mehr nicht. Zu Hause haben wir nicht den Frauentag gefeiert, sondern den Muttertag, weil wir konservativ und sowieso gegen die DDR waren. Von daher habe ich also zum Frauentag gar kein vernünftiges Verhältnis. Ich lerne dies jetzt erst wieder, weil ich natürlich durch meine politische Aktivität von Westfrauen zum Frauentag eingeladen werde. Da merke ich dann, daß der Tag für sie eine völlig andere Funktion hat. Und da wir, wie ich bereits festgestellt habe, noch eine ganze Menge durchsetzen müssen, denke ich nun, daß wir den 8. März wieder als das begehen müssen, als was er eigentlich gedacht war: Als Kampftag.

Mit dem Frauenstreik allerdings habe ich meine Schwierigkeiten. Ich befürworte ihn zwar im Prinzip, Sinn macht er jedoch nur, wenn er wie ein normaler Streik ist: "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will". Wenn die Frauen den Mut hätten, in vielen Bereichen einfach nicht zu arbeiten, so daß dort nichts mehr passiert, denn wäre das wunderbar. Bloß haben wir jetzt im Osten und weitgehend auch im Westen die Situation, daß man aus Angst vor Entlassung auf keinen Fall auffallen will, sich abhetzt und Überstunden macht, damit alles reibungslos läuft. Deswegen ist der Streiktag zumindest im Osten überhaupt nicht machbar! Ich kann doch den Frauen, die bei uns noch in Lohn und Brot sind, nicht sagen: Streikt mal schön! Sie sind froh, daß sie Arbeit haben und benehmen sich natürlich auch entsprechend. Ich werde von daher selbstverständlich diesen Tag nicht negieren und werde auch dabei sein, wir werden ihn aber vom Ministerium aus nicht proklamieren und groß ankündigen, sondern wir werden sagen, das dies eine Aktion der Basis sein soll. In der jetzigen Situation traue ich mich einfach nicht, dafür zu werben. Es tut mir leid, ich hätte gerne etwas anderes gesagt, aber man muß ehrlich bleiben.

Zur Quotenregelung

Ich habe ja bereits ein wenig geschildert, wie der Lebensweg im Osten war. Für mich war die Quote deshalb das letzte, ich fand es einfach unmöglich, daß man Dinge nicht anders durchsetzen kann als über Quoten. Jetzt lebe ich aber in einer anderen Gesellschaft und stelle auf einmal fest, daß Frauen, selbst wenn sie sich Mühe geben, in manchen Bereichen nicht mehr vertreten sind. Wenn man die Realität sieht, beispielsweise bei uns in Brandenburg, wo wir die Gleichstellung von Frau und Mann durch Erziehung und durch Realisierung genossen haben, dann stellen wir fest, daß, zu meiner eigenen Qual, selbst im Brandenburger Landtag bei der SPD nur 19 Prozent Frauen sind. Bei der CDU sind es 15 Prozent, bei der PDS, die die Quotenregelung hat, 46 Prozent, beim Bündnis '90 70 Prozent und bei der FDP durch Zufall 33 Prozent. Im Schnitt sind es 23 Prozent Frauen! Und ich merke jetzt schon unterschwellig, da wieder Landtagswahlen in diesem Jahr anstehen, wie an den Stühlen der Frauen gesägt wird, die noch im Parlament sitzen. Angesichts dieser Situation sage ich jetzt: 40-prozentige Quote für Frauen! Ich sage es noch einmal: Mir gefällt die Quote nicht, ich hoffe auch, daß wir sie nicht lange brauchen, aber jetzt ist es die Einsicht in die Notwendigkeit, die dazu drängt, sie zu fordern.

Dies gilt nicht nur für die Politik, sondern selbstverständlich auch für den öffentlichen Dienst. Hier liegt unser Ziel nicht bei 40 Prozent, sondern, mit unserem entsprechenden Gesetz, bei 50 Prozent. Wir haben dies allerdings nicht quotiert festgeschrieben, sondern wir versuchen, es mit institutionsspezifischen Frauenförderplänen zu entwickeln. Es geht darum, das praktisch Machbare zu machen. Wenn ich derzeit 5 Prozent Frauen im öffentlichen Dienst habe, dann hat es keinen Sinn 50 Prozent zu fordern. Wir planen daher, in den nächsten drei Jahren auf beispielsweise 10 Prozent zu kommen. Später soll der Anteil der Frauen dann stufenweise angehoben werden. Das Ziel bleibt selbstverständlich die 50-prozentige Quote.

Zur Teilzeitarbeit

Hierzu habe ich mehrere Punkte anzumerken. Erstens: Wir haben in Brandenburg ein Teilzeitmodell für Lehrer eingeführt, das sogenannte 80-Prozent-Modell. Wir hatten gleich nach der Gründung des Landes Brandenburg 6000 Lehrer, denen wir hätten kündigen müssen. Wir waren aber gleichzeitig dabei, Lehrer auf Stasi-Mitgliedschaft und auf politische Verstrickung großen Ausmaßes zu überprüfen, so daß es völlig unsinnig gewesen wäre, erst 6000 Lehrer zu entlassen und hinterher zu prüfen, wer denn nun bei der Stasi war. Wir wollten also die Lehrer in Lohn und Brot behalten. So wurde zwischen der Regierung und den Lehrern, also zwischen dem zuständigen Ministerium und der GEW, ein 80-Prozent-Modell verabredet. Alle Lehrer gingen auf 80 Prozent ihrer Arbeitszeit bei 80 Prozent des Lohnes, der wiederum 80 Prozent des Westlohnes, also 64 Prozent, betrug. Wir haben dies durchsetzen können, zumal der glückliche Umstand hinzu kam, daß gerade die Umstellung von Ostlöhnen auf Westtarife stattfand, so daß kein finanzieller Einschnitt verlangt wurde. Manchmal ergab sich sogar noch ein bißchen mehr. Auf die Art und Weise sind in Brandenburg alle Lehrer auf 80 Prozent ihrer Arbeitszeit gegangen, sodaß 6000 Menschen nicht entlassen werden mußten, sondern weiter arbeiten konnten. Nun wird systematisch geprüft, in welchen Fächern, zum Beispiel Englisch und Französisch, wir wieder mehr Lehrer brauchen. Teilweise wird so wieder etwas mehr als 80 Prozent gearbeitet.

Zweitens: Auch im kommunalen Bereich des öffentlichen Dienstes besteht jetzt die Notwendigkeit, ein paar Tausend Leute zu entlassen. Wir haben jetzt in meinem Ministerium Modelle und Vorschläge erarbeitet, wie wir es durch Teilzeitarbeit schaffen können, daß nur so wenig Menschen wie möglich entlassen werden müssen. In den meisten Fällen sind die nötigen Qualifikation vorhanden und wenn nicht, dann können Umschulungen und Weiterbildungen stattfinden. Wir versuchen so, im gesamten Bereich sozialverträglich zu reduzieren. Die Gewerkschaft zieht mit und wir versuchen zudem, geringer werdende Rentenansprüche durch verkürzte Arbeitszeiten dadurch auszugleichen, das wir noch etwas Geld dazugeben.

Drittens muß ich etwas Grundsätzliches sagen. Ich merke es auch an mir selber. Natürlich plane ich den Tag so, daß ich den ganzen Tag unterwegs bin. Allerdings würde ich das nicht so machen, wenn ich noch kleine Kinder hätte. Die Frage ist, inwieweit es sich die Männer zum Image machen, daß sie hier noch eine Sitzung, da noch eine Sitzung und da noch ein Arbeitsessen haben, die alle viel länger sind, als sie überhaupt vom fachlichen Inhalt oder vom Klärungsbedarf her sein müßten. So eilen sie immer von Sache zu Sache, weil sie ja so bedeutend sind. Brigitte Unger-Soyka, die Frauenministerin von Baden-Württemberg, hat zum Beispiel gesagt, sie habe nun kleine Kinder und wolle sehen, daß sie ein paar Mal in der Woche nachmittags, also zu einer normalen Zeit, nach Hause käme, damit die Kinder sie dann sehen könnten. Das geht gleich durch die Medien. Das ist ja unmöglich, daß da mal einer seine Arbeitszeit einhält! Deswegen denke ich, daß man ein neues Denken, eine neue Verantwortung und Wertschätzung gegenüber der Familienarbeit aufbauen muß, damit es auch den Männern in Zukunft vielleicht möglich ist zu sagen, sie müßten um 17 Uhr weg, weil sie z.B. ihren Kindern noch bei den Schularbeiten helfen müßten. Es ist eine Frage der gesellschaftlichen Anerkennung. Momentan ist es noch so, daß man nur jemand ist, wenn man Überstunden macht.

Zur Frauenarbeitslosigkeit

Über die Arbeitslosigkeit der Frauen im Osten habe ich in der Tat nicht gesprochen, sondern nur über die Wertschätzung und Notwendigkeit der Arbeit. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist für die Frauen besonders erschreckend, es ist wirklich eine Katastrophe. Nicht nur, daß zwei Drittel der Arbeitslosen ohnehin Frauen sind, sie werden auch schlechter eingestellt als Männer und haben längere Arbeitslosenzeiten. Trotz unserer Bemühungen, sie adäquat durch Arbeitsförderung zu unterstützen, entspricht ihre Beteiligung an ABM zum Beispiel noch nicht ihrem Anteil an der Arbeitslosigkeit. Sie sind benachteiligt bei der Entlassung, bei der Neueinstellung und bei der Arbeitsförderung, obwohl sie mit einer enormen Intensität Fortbildung und Umschulung gemacht haben.

Ich habe schon vorhin von unserer Qualifizierung im sozialistischen Wettbewerb erzählt. Dann ist auf einmal ein neues System über den Osten gekommen, das die ehemaligen Berufe nicht mehr brauchte, und obwohl die Frauen unterschiedlichste Qualifikationen hatten, mußten sie nun in Umschulung gehen. Sie haben also noch einen Beruf dazu gelernt, sind noch Blumensteckerin geworden oder kaufmännische Fachkraft. Jetzt, im Jahre 1994, sind sie fertig damit und kriegen wieder keine Arbeit. Diese Verfahrensweise ist für die Frauen deprimierend. Dazu kommt die Tatsache, daß die mittlere Arbeitslosigkeit bei uns bei 42,6 Wochen liegt! Fast ein Jahr mittlere Arbeitslosigkeit! Für Frauen kommt dann das Schicksal der sogenannten stillen Reserve, das wir im Osten früher nicht kannten und jetzt erst kennenlernen. Frauen waren ihr Leben lang berufstätig, jetzt sind sie arbeitslos geworden und kriegen für eine bestimmte Zeit Arbeitslosengeld. Wenn man sein Leben lang gearbeitet hat, bekommt man knapp drei Jahre Arbeitslosengeld, andernfalls weniger. Läuft die Zeit des Arbeitslosengeldbezuges ab, dann kommt die Arbeitslosenhilfe, aber nur, wenn das Familieneinkommen nicht sehr hoch ist. Wird der Mann für seine Arbeit auch nur einigermaßen bezahlt, dann kriegt die Frau keine Arbeitslosenhilfe, sie erhält gar nichts mehr. Sie gilt dann als stille Reserve und kommt beim Arbeitsamt nicht mehr vor. Sie bekommt auch keine Leistungen vom Arbeitsamt mehr. Dies ist der Status all der Frauen, die vorher berufstätig waren und die gerade jetzt berufstätig sein wollen, denn endlich könnten sie sich etwas anschaffen, könnten reisen. Aber dazu braucht man Geld und dazu wiederum Arbeit.

Wir haben in Brandenburg speziell für Frauen Projekte entwickelt, mit denen wir im ländlichen Bereich versuchen die Öko-Landwirtschaft oder den Öko-Gemüsebau zu initiieren. Arbeitslose Frauen machen dieses Projekt mit dem Ziel, nach zwei Jahren ihre eigene Existenz zu gründen. Dies fördern wir. Als Beispiel haben wir eine Initiative für Frauen aus dem ländlichen Bereich, die über 50 Jahre alt waren. Diese Frauen haben jetzt eine kleine Baumschule mit typischen Brandenburger Alleebäumen. Wir haben in Brandenburg schöne alte Alleen, die mittlerweile ganz erhebliche Ausfälle verzeichnen. Um diese wieder aufzufrischen, werden dort Brandenburger Alleebäume gezüchtet, wodurch die Frauen eine neue Existenzgrundlage erhalten. So haben wir viele kleine Frauenprojekte, die eigentlich 'Peanuts' sind, die aber auch ein Zeichen dafür sind, daß auch in ländlichen Regionen überhaupt noch etwas gehen kann, daß man überhaupt noch eine Perspektive hat, nachdem die Landwirtschaft zusammengebrochen ist. Auf diese Weise versuchen wir, für Frauen Projekte mit dem Ziel der Existenzgründung oder Arbeitsbeschaffung statt Sozialhilfe zu organisieren. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den Kommunen, die die Sozialhilfe zahlen, welche von uns wiederum auf Tariflohn aufgestockt wird. So haben wir mit dem Modell Arbeit statt Sozialhilfe in Nauen eine Frau mit neun Kindern, die sonst nirgendwo mehr eingestellt worden wäre, wieder in Lohn und Brot gebracht! Dies ist - zusammen mit den fast 100 Arbeitsförderungsgesellschaften, die wir haben - ein Beispiel dafür, wie wir versuchen, viele Dinge für Frauen in Gang zu bringen. Es kann also auch noch etwas anderes geben, als zu Hause zu sitzen und zu kapitulieren.

Ich darf es noch einmal zusammenfassend sagen: Der, der jetzt im Osten relativ nach Tarif bezahlte Arbeit hat, ist zufrieden. Allein die Tatsache, daß man Arbeit hat, eine bestimmte Menge Geld verdient, sich damit einrichten kann und sich damit sicher fühlt, führt dazu, daß die Menschen zufrieden sind! Über 50 Prozent der Menschen, die vorher gearbeitet haben, sind jedoch aus der Arbeit verdrängt worden. Und die sind eben nicht so sonderlich zufrieden, zumal das Arbeitslosengeld nun wieder gekürzt worden ist. Sie sind eben wirklich existentiell bedroht.

Zur Gewalt gegenüber Frauen

Wir haben in Brandenburg mittlerweile flächendeckend Frauenhäuser eingerichtet. Auch im Osten wurde geprügelt, in der Regel zu Hause; man hat es nicht so gemerkt. Jetzt, wo die Frauenhäuser da sind, kommen die Frauen, und wir versuchen, sie dadurch wieder zu integrieren, daß wir ihnen andere Wohnungen zur Verfügung stellen und Projekte vermitteln. Wir haben auch neue Frauenverbände aus dem Boden gestampft, denn früher hatten wir nur den DFD, den Demokratischen Frauenbund Deutschlands, den wir jedoch nie ernst genommen haben. Nun mußte aber etwas anderes auf die Beine gestellt werden, damit die Frauen nicht resignieren, wie ich es vorhin sagte. Dazu gehören Frauentreffs, Frauenverbandsförderung und Selbsthilfegruppenförderung. Wir haben flächendeckend ein Netz von Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationszentren errichtet, damit die Menschen Anlaufpunkte haben, wenn sie nicht wissen, wohin sie sich sonst wenden sollen. Wir versuchen vieles - von der Arbeitsförderung bis hin zur Selbsthilfe im normalen Leben - um Menschen Mut und eine Perspektive zu geben und dazu zu beizutragen, daß mit der Gewalt eben nicht auch die Resignation kommt. Aber das alles ist bei weitem zu wenig; wir müßten viel mehr tun - gerade für die Frauen.

Zur Ausbildungsförderung junger Frauen

Wir haben in Brandenburg ein Programm, das Frauen nicht nur gleichstellt, sondern bevorzugt. Dazu sind 25 Millionen Mark in den Jahren 1992 und 1993 für die Förderung der Erstausbildung bereitgestellt worden. Jeder Ausbildungsplatz für ein Mädchen im gewerblich-technischen Bereich wird mit 7000 Mark, für einen Jungen nur mit 4000 Mark gefördert. Die Jungen werden aber nur gefördert, wenn es sich um zusätzliche Ausbildungsplätze handelt, d.h., wenn die ungefähre normale Lehrlingsanzahl von 5 Prozent der Belegschaft überschritten wird, während ein Mädchen auch dann gefördert wird, wenn es das erste ist, das in dem Betrieb je als Lehrling eingestellt wurde. Wir wollen also bevorzugt Mädchen im gewerblich-technischen Bereich fördern und wir haben dennoch nicht den nötigen Erfolg! Die Bevorzugung um 3000 Mark ist immer noch zuwenig; wir müßten wahrscheinlich noch mehr zahlen, aber die Mittel haben wir nicht. Es werden trotz allem nicht ausreichend Mädchen im gewerblich-technischen Bereich eingestellt! Nach Jahrzehnten der Arbeitserfahrung in der DDR können Mädchen in diesem Bereich nicht mehr arbeiten, auf einmal werden sie nicht mehr genommen. Dagegen wollten wir angehen, und es ist uns nicht gelungen. Unsere Mittel reichen dazu nicht aus.


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Letzte Änderung: 05.01.2002