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Tübinger Forum

Standort Deutschland -
Wie sichern wir Arbeit, Wirtschaft und Umwelt?

Ein Streitgespräch
Prof. Dr. Rudolf Hickel
(Prof. für Wirtschaftswissenschaften,
Universität Bremen)
       Prof. Dr. Joachim Starbatty
(Prof. für Volkswirtschaftslehre, insbes. Wirtschaftspolitik,
Universität Tübingen)

Moderiert von Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
MdB, Stellv. Vorsitzende der SPD

Die Veranstaltung fand am 12. Januar 1994 in der Universität Tübingen statt.


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Rudolf Hickel:

Wenn Sie versuchen, mich hier als den Cheftrottel der Ökonomie darzustellen, dann ist das eine Diskussionstrategie, die ich natürlich gut verstehen kann, aber die bei mir nicht ankommt, weil ich mich wehre. Ich verlange bald eine Tafel, damit wir eine richtige Auseinandersetzung bekommen. Ich will es nur an einem Beispiel klarmachen: Was bringen Sie ihren Studenten bei, wenn sie die Bananenangebotskurve zeichnen? Da haben Sie Preis und Menge der Bananen und die Kurve geht nach oben. Und die gleiche Kurve malen sie ohne schlechtes Gewissen ob der ökonomischen Wahrhaftigkeit für einen Arbeitskraftanbieter. Ist ein Arbeitskraftanbieter überhaupt in der Lage, wenn die Löhne steigen, mehr Arbeitskraft anzubieten und wenn die Löhne sinken, - das ist der spannende Fall - weniger Arbeitskraft anzubieten, sich zurückzulehnen und nach dem Motto auf's Sofa zu setzen: "Der Job ist nicht attraktiv genug"? Das erklärt doch das Arbeitskraftverhalten nicht. Menschen sind als abhängige Beschäftigte relativ unabhängig vom Lohnsatz gezwungen, Arbeitskraft anzubieten, und deshalb müssen sie parallel zum Lohnsatz malen, damit es für die Ökonomen, die in Grafiken denken, klar wird. Das Entscheidende ist, daß sogar in einer Phase, wo die Löhne zurückgegangen sind - wir haben einen Rückgang der Nettoreallöhne -, daß in dieser Phase der Druck auf die Arbeitsmärkte im Sinne zusätzlichen Arbeitskräfteangebots zugenommen hat.

Eine letzte Bemerkung: 1978 schreibt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, wie er 1993 wiederholt: Wir müssen den Gleichgewichtslohn finden. Und ich frage Sie: Wie erklärt der Sachverständigenrat, wie erklären Sie, was eigentlich ein vollbeschäftigungskonformer Lohnsatz ist? Lehnen Sie sich mal zurück und denken Sie nach: Ist der Chemieabschluß von gestern vollbeschäftigungskonform? Der vollbeschäftigungskonforme Lohnsatz ist ein Konstrukt einer Theorie, die sich letztlich in einer Falle ertappt. Da wir nicht wissen, welcher Lohnsatz vollbeschäftigungskonform ist, sagen wir: Immer dann, wenn Arbeitslosigkeit herrscht, haben wir einen zu hohen Lohnsatz. Das ist eine Tautologie und hat mit Wissenschaft nichts zu tun.

Joachim Starbatty:

Meine Meinung ist, daß es sehr wesentlich etwas damit zu tun hat, denn Sie werden ja wohl nicht die "Münchhausen-Theorie" vertreten, daß man sich über Lohnsteigerungen und Kaufkraftsteigerungen selber aus dem Sumpf herausziehen kann. Warum sind denn in den sozialistischen Ländern die Löhne am niedrigsten gewesen und bei uns am höchsten? Weil die Produktivität bei uns am höchsten gewesen ist. Und die Produktivität ist am höchsten gewesen, weil wir Kapitalbildung hatten.

Jetzt ist ein Punkt erreicht, wo wir 3,7 Millionen Arbeitslose haben und es aufgrund der gegebenen Tatsachen nicht mehr möglich ist, dies zu machen. Warum sind denn die Gewerkschaften in schwierigen Situationen bereit, mit den Löhnen herunterzugehen? Warum fordert denn Herr Rappe jetzt nicht zehn Prozent, sondern gibt sich mit zwei Prozent - also real mit einem Minus - zufrieden? Weil er weiß, daß Lohnpolitik etwas mit Beschäftigungssicherung zu tun hat. Und mehr sage ich doch gar nicht. Ich sage nur, daß 3,7 Millionen Arbeitsplätze jetzt nicht besetzt sind, weil wir eine falsche Politik in diesem Bereich gemacht haben, weil wir glaubten, wir könnten uns das alles leisten. Aber das können wir uns eben nicht mehr leisten. Wir müssen da etwas tun.

Wenn wir weiter sagen, Arbeit können wir nicht mit Bananen gleichsetzen, dann werden wir uns - wie die Engländer es geschafft haben - von der Lohnspitze an das Ende der Lohnskala katapultieren. Wir müssen endlich lernen, daß jeder Arbeitsplatz am Arbeitsplatz erarbeitet werden muß und daß dazu die entsprechenden Ströme gehören. Und wenn Sie sagen, daß wäre altbacken, dann kan ich nur sagen: Auch Altbackenes ist richtig!

Rudolf Hickel:

Ich halte den Chemieabschluß, der gestern gefaßt worden ist, lohnpolitisch für eine Katastrophe. Das ist die Unredlichkeit in der Diskussion, sowohl bei denen, die abgeschlossen haben, also auch bei denen, die es heute kommentieren einschließlich Ihrer Person. Ich sage Ihnen, in ein bis zwei Jahren werden wir feststellen, daß alle verbalen Bekenntnisse der Beschäftigungssicherung bei diesem Vertrag nicht aufgegangen sein werden. Denn die Unternehmen werden sich im Sinne des Tarifabschlusses rational verhalten: Sie werden bisher Vollbeschäftigte entlassen und Arbeitslose zu niedrigen Löhnen einstellen. Das wird die Reaktion sein und deshalb sind Sie doch beweispflichtig - sonst hat es mit Wissenschaft nichts zu tun, sonst ist das primitve Agitation. Sie sind beweispflichtig, uns zu sagen, warum dieser Tarifabschluß beschäftigungspositive Wirkungen haben wird. Ich sage Ihnen dazu: Der Tarifabschluß - und wahrscheinlich wird er bedauerlicherweise Vorbildfunktion auch für andere Bereiche haben - ist ein dramatischer Ausdruck für den disziplinierenden Druck der Arbeitslosigkeit auf die Tarifverhandlungen. Es ist Defensivverhalten, es ist die Angst vor weiterem Arbeitsplatzverlust, die dazu führt, daß man sich Positionen abringen läßt, die nicht sinnvoll sind.

Zweite Bemerkung: Lassen sie uns über eine Frage kurz diskutieren. Warum wird - gemessen an der Geldvermögensbildung in der Bundesrepublik, gemessen an den immer noch sehr, sehr hohen Direktinvestitionen aus der Bundesrepublik im Ausland - im Inland vergleichsweise wenig investiert? Das Investitionsverhalten ist nicht vorrangig durch die Lohnkosten bestimmt. (Die Lohnkostensteigerung wird in diesem Jahr irgendwo moderat nominal bei zwei Prozent liegen und sie haben zu Recht gesagt, daß sie netto zurückgehen werden.) Das Investitonsverhalten müssen wir analysieren. Warum ist es für Unternehmer zur Zeit rationaler auf die kurze Seite des Geldmarktes zu gehen? Warum ist es für Unternehmer zur Zeit rationaler etwa auf den Kapitalmärkten Anlagen vorzunehmen und eigentlich erwirtschaftete Einkommen nicht investiv, nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht zur Überwindung der Konjunkturflaute einzusetzen? Die Rahmenbedingungen stimmen nicht, denn die Bundesbank macht es attraktiv, auf Sachinvestitionen zu verzichten. Deshalb müssen Sie sich auch mal dazu durchringen, bei der Ursachenerklärung diese feine, vornehme, von der Wirtschaftswissenschaft nie kritisierte, eher achtungsvoll verbeugend wahrgenommene Bundesbank mit in die Kritik einzubeziehen. Deshalb sage ich: Wenn wir versuchen, Investitionsverhalten zu erklären, werden wir dazu kommen, daß letztlich Unternehmer aufgrund bestimmter makroökonomischer Zusammenhänge über Investitionen entscheiden und nicht die Löhne, sondern ganz andere Faktoren entscheidend sind, und nur wenn wir die kennen, können wir auch eine Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entwickeln.

Joachim Starbatty:

Herr Hickel, Sie werden sich jetzt wundern, daß ich Ihnen zustimme, allerdings von einer anderen Ecke her. Was Sie über den Lohnabschluß in der Chemieindustrie hier gesagt haben - gut, das können Sie Herrn Rappe erzählen. Und die Hypothesen, die Sie in den Raum gestellt haben, sind ja völlig unbewiesen. Man kann ja alles möglich erzählen und dann bestimmte Schlußfolgerungen daraus ziehen. Wir haben uns mit der Realität zu befassen so wie wir sie vorfinden und nicht mit der, von der Sie glauben, daß sie möglich wäre.

Zur Geldpolitik. Sie sagen, die Geldpolitik sei schuld. Sie haben völlig recht. Wir haben zur Zeit eine Situation in Deutschland, in der die Investition in Geldkapital attraktiver ist als in Sachkapital, also in Arbeitsplätze. Ich sagte ja bereits, daß der Strom aus den Arbeitsplätzen nicht so ist, daß es attraktiv wäre, in Arbeitsplätze zu investieren. Und zur Erklärung dieses Phänomens gehören natürlich die Löhne dazu, sie sind ein Faktor. Ein anderer Erklärungsfaktor liegt in der Antwort auf die Frage, warum die Geldmarktzinsen so hoch sind. Ich hatte bereits den Grund dafür genannt: In diesem Jahr reicht die Nettovermögensbildung der deutschen Haushalte gerade aus, um die Staatsverschuldung in diesem Jahr abzusichern. Das bedeutet, daß das Zinsniveau außerordentlich hoch ist. Was die Bundesbank gemacht hat, war ja der Versuch, vorsichtig diese exzessive Verschuldung des Staates abzusichern. Sie hat ja seit vier Jahren gar keine Geldwertstabilitätspolitik betrieben. Ich habe eine Tafel bei mir, auf der wir die Geldmengezuwachsraten von 1988 bis zum Jahre 1993 fortgeschrieben haben. Die Geldmengenzuwachsraten, die bisher immer üblich gewesen sind, paßten zunächst problemlos auf diese Tafel. Und jetzt, ab 1990, sind die Geldmengenzuwachsraten schon längst über die Tafel hinaus. Die Bundesbank hat also eine konstatierende Geldpolitik betrieben. Wenn sie eine echte Stabilitätspolitik betrieben hätte, wären die Zinsen noch viel höher gewesen - vielleicht bei 15 oder 16 Prozent. Die Bundesbank hat das nicht gemacht. Sie hat dafür Inflation zugelassen. Denn wir sind aus einem Stadium der Preisstabilität Null auf 4,5 Prozent hinaufgegangen. Wir sind in Europa nicht vorne, sondern am Ende des Stabilitätszuges. Und was die Bundesbank jetzt macht, ist lediglich zu versuchen, ganz vorsichtig alles wieder einzufangen und den Glauben an die Geldwertstabilität nicht verloren gehen zu lassen. Entscheidend ist, daß wir nicht den Glauben an die Politik der Bundesbank verlieren. Es war höchste Zeit, daß sie das getan hat, denn ich hatte in der Tat bereits den Glauben an die Durchschlagskraft der Bundesbank etwas verloren.

Rudolf Hickel:

Die empirischen Befunde widersprechen Ihrer Aussage. Wir haben eine interessante Situation. Den Ausgangspunkt haben Sie völlig richtig dargestellt: Die Absorbtionsrate der Staatsverschuldung hat enorm zugenommen. Einschließlich Treuhandanstalt und anderer Nebenhaushalte schätzt die Deutsche Bundesbank die Neuverschuldung im Jahr 1993 auf ca. 220 Milliarden D-Mark. Gemessen an der inländischen Gesamtgeldvermögensbildung ist das sehr viel. Aber wir haben interessanterweise eine enorme Entlastung durch das Ausland. Während wir - auch heute abend - über den Standort so negativ reden, hat das ausländische Kapital eine ganz andere Wahrnehmung. Wir haben zwei Phänomene: Einerseits enorm rückläufige Kapitalmarktzinsen von Anfang 1990 über neun Prozent auf mittlerweile 5,8 Prozent, aber gleichzeitig einen enormen Kapitalzufluß aus dem Ausland. Insofern hat sich gesamtwirtschaftlich im Rahmen der Finanzierung der Staatsverschuldung das Problem nicht so sehr ergeben.

Joachim Starbatty:

Sie haben mir falsche empirische Zahlen vorgeworfen. Alles, was Sie jetzt gemacht haben, war, mein Zahlentableau zu bestätigen. Ich habe ja gesagt, daß die Bundesbank eine relativ lockere Politik betrieben hat, denn sonst könnte der Kapitalmarktzins ja nicht auf dem niedrigsten Niveau seit zwanzig Jahren sein. Und warum sind die Zinsen vorher hoch gewesen, warum ist das Kapital aus dem Ausland hineingeflossen? Weil wir in Deutschland dieselbe Politik betrieben haben wie Präsident Reagan in den achtziger Jahren. Damals gab es eine hohe Staatsverschuldung, die auf den Kapitalmarkt durchschlug. Die Zinsen waren hoch, Kapital floß in die USA und eine Aufwertung war die Konsequenz. Riesige Leistungsbilanzdefizite waren die weitere Konsequenz. Wie ist bei uns die Situation? Wir haben die deutsche Einheit nicht über Ausgabekürzungen oder Steuererhöhungen, sondern allein über die Verschuldung im Inland und Ausland finanziert. Die Bundesbank hat nicht stark gegengehalten, sondern nur ein wenig. Darum war das Zinsniveau bei uns attraktiver als im Ausland mit der Konsequenz, daß Geld zugeflossen ist und die D-Mark aufgewertet worden ist. Das hat uns die Mittel verschafft, im Ausland die Produkte zu kaufen, die dann in den ostdeutschen Läden und schließlich in ostdeutschen Haushalten gelandet sind. Das war völlig spielregelkonform, wie es in den Lehrbüchern stand. Es ist nur passiert, was die Bundesregierung nicht anders hat machen können oder machen wollen. Dafür aber jetzt die Geldpolitik auszuschimpfen ist völlig absurd.

Rudolf Hickel:

Das gibt mir die Gelegenheit, ein neues Thema anzusprechen. Auch da muß ich Ihnen, was die Empirie betrifft, widersprechen. Die deutsche Einheit ist zwar bis Ende 1990 nahezu ausschließlich aus Krediten finanziert worden. (Das war Ergebnis der unseligen Tatsache, daß der Bundeskanzler erklärt hat: Bis zu den Bundestagswahlen im Dezember 1990 tun wir mal so, als sei die deutsche Einigung aus der Portokasse zu finanzieren und 'Portokasse' war in diesem Fall der Lückenbüßer Staatsverschuldung.) Aber diese Situation hat sich seit 1991 völlig verändert. Wir haben seit 1991 mehr Runden Steuererhöhungspakete, Abgabenerhöhungspakete als je zuvor. Und jetzt kommen wir auf den zentralen Punkt: Wie ist die Einheit bisher über Abgaben finanziert worden? Empirische Untersuchungen über die Verteilungswirkungen der Einheitsfinanzierung jenseits der Staatsverschuldung zeigen, daß eine Gerechtigkeitslücke, eine soziale Schieflage, entstanden ist. Sonst lobe ich es zwar nicht, weil ich es für relativ langweilig und redundant halte, aber lesen sie in diesem Fall das Jahresgutachten des Sachverständigenrates vom letzten Jahr. Dort sagen die sogenannten 'fünf Weisen': Es war steuerpolitisch unmöglich, die Gemeinschaftsaufgabe Ostdeutschland über die Versichertengemeinschaft, nämlich über die Arbeitslosenversicherungszahler, deren Abgaben erhöht worden sind, zu finanzieren.

Ich spitze das zu: Die Finanzierung der deutschen Einheit über die Abgabenpolitik hat - und das werden wir in den Wahlkämpfen spüren - zu einer massiven Akzeptanzproblematik geführt, weil die unteren Einkommensbezieher relativ stark - etwa über Mehrwertsteuer, über spezielle Verbrauchsteuern oder über Sozialversicherungsabgaben - an der Finanzierung beteiligt worden sind. Ich finde es einen verteilungspolitischen Skandal, daß von der bisherige Finanzierung der deutschen Einheit, bei denjenigen, bei denen sich Einkommen und Vermögen konzentrieren - bis auf den Solidaritätszuschlag - praktisch niemand etwas von den Lasten den Einheit gespürt hat. Deshalb fordere ich - ökonomisch und verteilungspolitisch argumentiert - dringend einen Lastenausgleich in der Art wie wir ihn 1948 durchgeführt haben, damit bei der Finanzierung ein bißchen mehr an sozialer Gerechtigkeit berücksichtigt wird. Das ist schließlich auch ein Etikett, mit dem sich die Nationalökonomie beschäftigen sollte.

Joachim Starbatty:

Es fließen jedes Jahr 190 Milliarden D-Mark in die neuen Bundesländer. In den ersten Jahren sind diese 190 Milliarden D-Mark völlig über den Kapitalmarkt - vor allem über ausländischen Kapitalzufluß - finanziert worden, erkennbar an unserer defizitären Leistungsbilanz - sie ist sozusagen das realwirtschaftliche Gegengewicht. In den letzten Jahren sind auch Steuererhöhungen dazugekommen. Diese Steuererhöhungen machen 20 Prozent der Transfersumme aus. So sehen die Tatsachen aus. Wir haben die eigentliche Finanzierung der deutschen Einheit noch vor uns. Und das wird nicht ohne Steuererhöhungen gehen.

Bezüglich der bisherigen Finanzierung wäre es bei uns z.B. dringend nötig gewesen, den Staatshaushalt zu durchforsten. Das hat man aber nicht gemacht. Ich will nur ein Beispiel nennen, bei dem Sie mir zustimmen werden: Jedes Jahr fließen 12 Milliarden D-Mark in den Ruhrkohlebergbau mit seinen 110.000 Beschäftigten. Das sind über 110.000 Mark je Beschäftigtem. Ausbezahlt werden an Löhnen 70.000 Mark. Das heißt, man könnte alle Bergleute nach Hause schicken und könnte noch Geld sparen. Das ist nur ein Beispiel. Warum hat man das nicht gemacht? Weil die Politiker, wenn sie vor Versammlungen sind, alle weiche Knie bekommen. Die Protektionisten und Interventionisten setzen sich immer durch, weil sie eine Lobby haben, und weil sie ihr Wählervolk mobilisieren können. Die breite Masse der Steuerzahler können sie nicht mobilisieren. Und deswegen wählen Politiker, ob grüne, rote, schwarze oder gelbe immer den bequemsten Ausweg: Der Masse der Steuerzahler zusätzliche Lasten aufzubürden.

Ich würde mir wünschen, daß wir hier noch über die Reformierung des Sozialsystems sprechen, denn da kann man sehr viel sparen, und das Ganze sogar noch effizienter machen. Aber vielleicht können wir auch gleich mal über ihre versteckte Industriepolitik reden.

Rudolf Hickel:

Mit Industriepolitik habe ich überhaupt keine Probleme. Ich finde, daß die Bundesrepublik Deutschland es durch ihren liberalistischen Kurs einer auf die FDP mit ihrer Wähler-Klientel bezogenen Politik verpaßt hat, eine richtige Industriepolitik zu machen. Wenn sie das Standortpapier von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt und die Übernahme der Bundesregierung anschauen, ist es katastrophal zu sehen, daß man gerade in den produktiven Bereichen auf den Weltmärkten Positionen wieder neu besetzen will. Es ist katastrophal, sich mit der Foschungs- und Industriepolitik in dieser Phase zu verabschieden, weil man offensicht eher dem liberalistischen Dogma folgt, als den ganz wichtigen Erfordernissen, die jetzt notwendig sind.

Joachim Starbatty:

Zur Industriepolitik. Das ist ein neues Thema. Herr Spoeri hat gesagt: "Die Industrie braucht industriepolitische Hilfestellung, weil die Arbeitsplätze schneller wegbrechen als nachwachsen." Damit meint er - und das haben Sie ja eben auch angedeutet - daß die Unternehmer es nicht mehr schaffen, die Arbeitsplätze bereitzustellen, die wir brauchen, daß sie mit anderen Worten also versagt haben. Genau das steht hinter verschiedenen Konzepten und im "Spiegel" lesen sie ja immer auf Platz eins der Bestsellerliste: Nieten in Nadelstreifen. Politiker glauben also, daß die Unternehmer Versager sind. Wenn Sie mit Unternehmern sprechen und alleine sind, ist das zweite Wort sofort, wie falsch die Politiker es machen. Die Unternehmer höhnen geradezu über das, was Politiker machen.

Also die einen halten die anderen für Versager, die einen höhnen über die anderen, und wechselseitig halten sich alle für Deppen, um es salopp zu formulieren. Und dann sagt Herr Spoeri: "Politiker im Dialog mit Unternehmern können neue Technologien, neue Produkte und den Strukturwandel puschen". Also, sie sind allein genommen Deppen, aber wenn sie zusammen am Tisch sitzen, dann werden sie klug, erkennen neue Produkte und können den Strukturwandel puschen.

Fortsetzung ...


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Letzte Änderung: 05.01.2002