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Standort Deutschland -
Wie sichern wir Arbeit, Wirtschaft
und Umwelt?
Ein Streitgespräch
Prof.
Dr. Rudolf Hickel (Prof. für Wirtschaftswissenschaften, Universität Bremen) |
Prof. Dr.
Joachim Starbatty (Prof. für Volkswirtschaftslehre, insbes. Wirtschaftspolitik, Universität Tübingen) |
Moderiert von Prof. Dr.
Herta Däubler-Gmelin
MdB, Stellv. Vorsitzende der SPD
Die Veranstaltung fand am 12. Januar 1994 in der Universität Tübingen statt.
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Eine letzte Bemerkung: 1978 schreibt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten, wie er 1993 wiederholt: Wir müssen den Gleichgewichtslohn finden. Und ich frage Sie: Wie erklärt der Sachverständigenrat, wie erklären Sie, was eigentlich ein vollbeschäftigungskonformer Lohnsatz ist? Lehnen Sie sich mal zurück und denken Sie nach: Ist der Chemieabschluß von gestern vollbeschäftigungskonform? Der vollbeschäftigungskonforme Lohnsatz ist ein Konstrukt einer Theorie, die sich letztlich in einer Falle ertappt. Da wir nicht wissen, welcher Lohnsatz vollbeschäftigungskonform ist, sagen wir: Immer dann, wenn Arbeitslosigkeit herrscht, haben wir einen zu hohen Lohnsatz. Das ist eine Tautologie und hat mit Wissenschaft nichts zu tun.
Jetzt ist ein Punkt erreicht, wo wir 3,7 Millionen Arbeitslose haben und es aufgrund der gegebenen Tatsachen nicht mehr möglich ist, dies zu machen. Warum sind denn die Gewerkschaften in schwierigen Situationen bereit, mit den Löhnen herunterzugehen? Warum fordert denn Herr Rappe jetzt nicht zehn Prozent, sondern gibt sich mit zwei Prozent - also real mit einem Minus - zufrieden? Weil er weiß, daß Lohnpolitik etwas mit Beschäftigungssicherung zu tun hat. Und mehr sage ich doch gar nicht. Ich sage nur, daß 3,7 Millionen Arbeitsplätze jetzt nicht besetzt sind, weil wir eine falsche Politik in diesem Bereich gemacht haben, weil wir glaubten, wir könnten uns das alles leisten. Aber das können wir uns eben nicht mehr leisten. Wir müssen da etwas tun.
Wenn wir weiter sagen, Arbeit können wir nicht mit Bananen gleichsetzen, dann werden wir uns - wie die Engländer es geschafft haben - von der Lohnspitze an das Ende der Lohnskala katapultieren. Wir müssen endlich lernen, daß jeder Arbeitsplatz am Arbeitsplatz erarbeitet werden muß und daß dazu die entsprechenden Ströme gehören. Und wenn Sie sagen, daß wäre altbacken, dann kan ich nur sagen: Auch Altbackenes ist richtig!
Zweite Bemerkung: Lassen sie uns über eine Frage kurz diskutieren. Warum wird - gemessen an der Geldvermögensbildung in der Bundesrepublik, gemessen an den immer noch sehr, sehr hohen Direktinvestitionen aus der Bundesrepublik im Ausland - im Inland vergleichsweise wenig investiert? Das Investitionsverhalten ist nicht vorrangig durch die Lohnkosten bestimmt. (Die Lohnkostensteigerung wird in diesem Jahr irgendwo moderat nominal bei zwei Prozent liegen und sie haben zu Recht gesagt, daß sie netto zurückgehen werden.) Das Investitonsverhalten müssen wir analysieren. Warum ist es für Unternehmer zur Zeit rationaler auf die kurze Seite des Geldmarktes zu gehen? Warum ist es für Unternehmer zur Zeit rationaler etwa auf den Kapitalmärkten Anlagen vorzunehmen und eigentlich erwirtschaftete Einkommen nicht investiv, nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht zur Überwindung der Konjunkturflaute einzusetzen? Die Rahmenbedingungen stimmen nicht, denn die Bundesbank macht es attraktiv, auf Sachinvestitionen zu verzichten. Deshalb müssen Sie sich auch mal dazu durchringen, bei der Ursachenerklärung diese feine, vornehme, von der Wirtschaftswissenschaft nie kritisierte, eher achtungsvoll verbeugend wahrgenommene Bundesbank mit in die Kritik einzubeziehen. Deshalb sage ich: Wenn wir versuchen, Investitionsverhalten zu erklären, werden wir dazu kommen, daß letztlich Unternehmer aufgrund bestimmter makroökonomischer Zusammenhänge über Investitionen entscheiden und nicht die Löhne, sondern ganz andere Faktoren entscheidend sind, und nur wenn wir die kennen, können wir auch eine Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entwickeln.
Zur Geldpolitik. Sie sagen, die Geldpolitik sei schuld. Sie haben völlig recht. Wir haben zur Zeit eine Situation in Deutschland, in der die Investition in Geldkapital attraktiver ist als in Sachkapital, also in Arbeitsplätze. Ich sagte ja bereits, daß der Strom aus den Arbeitsplätzen nicht so ist, daß es attraktiv wäre, in Arbeitsplätze zu investieren. Und zur Erklärung dieses Phänomens gehören natürlich die Löhne dazu, sie sind ein Faktor. Ein anderer Erklärungsfaktor liegt in der Antwort auf die Frage, warum die Geldmarktzinsen so hoch sind. Ich hatte bereits den Grund dafür genannt: In diesem Jahr reicht die Nettovermögensbildung der deutschen Haushalte gerade aus, um die Staatsverschuldung in diesem Jahr abzusichern. Das bedeutet, daß das Zinsniveau außerordentlich hoch ist. Was die Bundesbank gemacht hat, war ja der Versuch, vorsichtig diese exzessive Verschuldung des Staates abzusichern. Sie hat ja seit vier Jahren gar keine Geldwertstabilitätspolitik betrieben. Ich habe eine Tafel bei mir, auf der wir die Geldmengezuwachsraten von 1988 bis zum Jahre 1993 fortgeschrieben haben. Die Geldmengenzuwachsraten, die bisher immer üblich gewesen sind, paßten zunächst problemlos auf diese Tafel. Und jetzt, ab 1990, sind die Geldmengenzuwachsraten schon längst über die Tafel hinaus. Die Bundesbank hat also eine konstatierende Geldpolitik betrieben. Wenn sie eine echte Stabilitätspolitik betrieben hätte, wären die Zinsen noch viel höher gewesen - vielleicht bei 15 oder 16 Prozent. Die Bundesbank hat das nicht gemacht. Sie hat dafür Inflation zugelassen. Denn wir sind aus einem Stadium der Preisstabilität Null auf 4,5 Prozent hinaufgegangen. Wir sind in Europa nicht vorne, sondern am Ende des Stabilitätszuges. Und was die Bundesbank jetzt macht, ist lediglich zu versuchen, ganz vorsichtig alles wieder einzufangen und den Glauben an die Geldwertstabilität nicht verloren gehen zu lassen. Entscheidend ist, daß wir nicht den Glauben an die Politik der Bundesbank verlieren. Es war höchste Zeit, daß sie das getan hat, denn ich hatte in der Tat bereits den Glauben an die Durchschlagskraft der Bundesbank etwas verloren.
Ich spitze das zu: Die Finanzierung der deutschen Einheit über die Abgabenpolitik hat - und das werden wir in den Wahlkämpfen spüren - zu einer massiven Akzeptanzproblematik geführt, weil die unteren Einkommensbezieher relativ stark - etwa über Mehrwertsteuer, über spezielle Verbrauchsteuern oder über Sozialversicherungsabgaben - an der Finanzierung beteiligt worden sind. Ich finde es einen verteilungspolitischen Skandal, daß von der bisherige Finanzierung der deutschen Einheit, bei denjenigen, bei denen sich Einkommen und Vermögen konzentrieren - bis auf den Solidaritätszuschlag - praktisch niemand etwas von den Lasten den Einheit gespürt hat. Deshalb fordere ich - ökonomisch und verteilungspolitisch argumentiert - dringend einen Lastenausgleich in der Art wie wir ihn 1948 durchgeführt haben, damit bei der Finanzierung ein bißchen mehr an sozialer Gerechtigkeit berücksichtigt wird. Das ist schließlich auch ein Etikett, mit dem sich die Nationalökonomie beschäftigen sollte.
Bezüglich der bisherigen Finanzierung wäre es bei uns z.B. dringend nötig gewesen, den Staatshaushalt zu durchforsten. Das hat man aber nicht gemacht. Ich will nur ein Beispiel nennen, bei dem Sie mir zustimmen werden: Jedes Jahr fließen 12 Milliarden D-Mark in den Ruhrkohlebergbau mit seinen 110.000 Beschäftigten. Das sind über 110.000 Mark je Beschäftigtem. Ausbezahlt werden an Löhnen 70.000 Mark. Das heißt, man könnte alle Bergleute nach Hause schicken und könnte noch Geld sparen. Das ist nur ein Beispiel. Warum hat man das nicht gemacht? Weil die Politiker, wenn sie vor Versammlungen sind, alle weiche Knie bekommen. Die Protektionisten und Interventionisten setzen sich immer durch, weil sie eine Lobby haben, und weil sie ihr Wählervolk mobilisieren können. Die breite Masse der Steuerzahler können sie nicht mobilisieren. Und deswegen wählen Politiker, ob grüne, rote, schwarze oder gelbe immer den bequemsten Ausweg: Der Masse der Steuerzahler zusätzliche Lasten aufzubürden.
Ich würde mir wünschen, daß wir hier noch über die Reformierung des Sozialsystems sprechen, denn da kann man sehr viel sparen, und das Ganze sogar noch effizienter machen. Aber vielleicht können wir auch gleich mal über ihre versteckte Industriepolitik reden.
Also die einen halten die anderen für Versager, die einen höhnen über die anderen, und wechselseitig halten sich alle für Deppen, um es salopp zu formulieren. Und dann sagt Herr Spoeri: "Politiker im Dialog mit Unternehmern können neue Technologien, neue Produkte und den Strukturwandel puschen". Also, sie sind allein genommen Deppen, aber wenn sie zusammen am Tisch sitzen, dann werden sie klug, erkennen neue Produkte und können den Strukturwandel puschen.
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